Weimar-Lese

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Okzident und Orient
Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert

Klaus-Werner Haupt

In siebzehn Kapiteln werden neunzehn Persönlichkeiten des langen 19. Jahrhunderts vorgestellt, deren Texte, Bilder und Erfindungen deutlich machen: Okzident und Orient sind nicht zu trennen.

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Nietzsche-Archiv

Nietzsche-Archiv

Klaus-Werner Haupt

Begegnungsstätte für Wissenschaftler und Künstler

„Es gibt wohl heute in Deutschland keinen leidlich gescheiten

studierten oder gebildeten Mann von zwanzig oder dreißig Jahren,

der nicht Nietzsche einen Teil seiner Weltanschauung verdankte.“

Harry Graf Kessler, 1895

Friedrich Nietzsche
Friedrich Nietzsche

Aufgrund gesundheitlicher Probleme musste Friedrich Nietzsche im Frühjahr 1879 seine Professur niederlegen. Eine Pension erlaubte dem Philologen und Philosophen zahlreiche Erholungsaufenthalte, unter anderem im schweizerischen Engadin, im thüringischen Naumburg sowie in diversen Orten Italiens. In Turin erlitt Nietzsche 1889 einen Zusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholte. Nach Klinikaufenthalten in Basel und Jena wurde er in Naumburg (Saale) im Haus seiner Mutter, Nr. 355 (heute Weingarten 18) umsorgt.

1893 kehrte Nietzsches Schwester, die verwitwete Elisabeth Förster (1846-1935, ab 1895 Förster-Nietzsche), aus Paraguay zurück. Nach und nach übernahm sie nicht nur die Kontrolle über ihren Bruder, sondern auch über dessen Nachlass. Am 2. Februar 1894 überraschte sie ihre Mutter mit der Einrichtung eines Archivs. Fachliche Unterstützung kam vom Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv. Rudolf Steiner (1861-1925) ordnete Manuskripte, Notizhefte und mehr als tausend Briefe. Zu den ersten Mitarbeitern des Archivs zählten Eduard von der Hellen (1863-1927), Heinrich Köselitz alias Peter Gast (1854-1918) und Fritz Kögel (1860-1904). Die von Elisabeth Förster-Nietzsche vorgenommenen Fälschungen wurden erst nach ihrem Tod entdeckt.

Nietzsche Archiv
Nietzsche Archiv

Im September 1896 zog Elisabeth Förster-Nietzsche mit dem Archiv nach Weimar um. Meta von Salis-Marschlins (1855-1929), eine Schweizer Verehrerin, stellte ihr ab 1. Juli 1897 die Stadtvilla in der Luisenstraße (heutige Humboldtstraße 36) zur Verfügung. Im August 1897 holte Elisabeth Förster-Nietzsche ihren Bruder Friedrich und dessen Pflegerin Alwine Freytag nach Weimar. Obwohl er kaum noch ansprechbar war, wurde der geistig Umnachtete ausgewählten Besuchern vorgestellt: im weißen Gewand, mit ungeheurem Schnurrbart, wunderbar schöner Künstler- und Denkerstirne und „Augen, die die im Erloschensein noch durchseelt wirkten“ ruhte er auf einer Chaiselongue ( 1 ). Der Mäzen Harry Graf Kessler (1868-1937) und die Schriftstellerin Gabriele Reuter (1859-1941) gehörten zu den Gästen, denen Zutritt zum Obergeschoss der Villa gewährt wurde. Elisabeth Förster-Nietzsche stilisierte den Patienten zu einem „Bramahnen“, dessen Auge in alle Ewigkeit auf der Menschheit ruhen würde. ( 2 ) Im Laufe der nächsten drei Jahre erlitt er mehrere Schlaganfälle, am 25. August 1900 verstarb Friedrich Nietzsche an den Folgen einer Lungenentzündung. Zwei Tage später fand im Nietzsche-Archiv im engsten Kreis die Trauerfeier statt.

Elisabeth Förster-Nietzsche​
Elisabeth Förster-Nietzsche​

Elisabeth Förster-Nietzsche beförderte den Kult um ihren Bruder als einen Propheten und Erneuerer. Von Adalbert Oehler, ihrem Cousin, erwarb sie die am Stadtrand gelegene Villa Silberblick, deren Umgestaltung nun nichts mehr im Wege stand. Nach Plänen des belgischen Architekten und Designers Henry van de Velde (1863-1957) entstanden bis Oktober 1903 ein neuer Portalvorbau und das Vestibül, ein Bibliotheks- und Vortragsraum sowie Arbeitsraum und Esszimmer für die Archivare. Van de Veldes Jugendstilarchitektur und -interieur bildeten einen würdigen Rahmen für das „Neue Weimar“.

Seit 1999 ist das Obergeschoss des Hauses dem Kolleg Friedrich Nietzsche vorbehalten. Im Bibliotheks- und Vortragsraum beeindruckt die Nietzsche-Herme, das 1905 aufgestellte Werk des Bildhauers Max Klinger (1857-1920). Den ehemaligen Arbeitsraum schmückt Hans Oldes (1855-1917) Kohlezeichnung „Friedrich Nietzsche auf dem Krankenbett“. Eine Ausstellung im ehemaligen Esszimmer dokumentiert die widerspruchsvolle Geschichte des Hauses. Bereits 1911 entstanden die Pläne für eine Gedächtnishalle.

Nach wie vor dient das Nietzsche-Archiv Wissenschaftlern und Künstlern als Begegnungsstätte. Die Archivbestände befinden sich heute im Goethe- und Schiller-Archiv, Jenaer Straße 1. Nietzsches Privatbibliothek gehört zum Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek.

*****


Anmerkungen:

( 1 ) zitiert nach Haupt, Klaus-Werner: OKZIDENT & ORIENT. Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert. Weimarer Verlagsgesellschaft/Verlagshaus Römerweg Wiesbaden 2015, S. 224

( 2 ) zitiert nach Schaefer, Dirk: Im Namen Nietzsches. Elisabeth Förster-Nietzsche und Lou Andreas-Salomé. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH Frankfurt am Main 2001, S. 183

Quellen:

( 1 ) http://mv-naumburg.de/zeittafel

( 2 ) http://www.sehepunkte.de/2004/12/6464.html

( 3 ) Emmrich, Angelika/Föhl, Thomas: Nietzsche Archiv, Klassik Stiftung Weimar, 2014

Abbildungsnachweis:

Fotos Nietzsche Archiv von Andreas Werner

Friedrich Nietzsche, 1882 (Photographie von Gustav Adolf Schultze), gemeinfrei

Elisabeth Förster-Nietzsche, gemeinfrei


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Humboldtstraße 36
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