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Florian Russi

Im Zeichen der Trauer

Tröstungen für Hinterbliebene, 2006, 64 Seiten
Feinfühlig und doch nüchtern und realitätsnah dargestellt, sollen die Texte Tränen trocknen und Mut zusprechen

Konzentrationslager Buchenwald

Konzentrationslager Buchenwald

Volker Schmidt

Das Leben der Häftlinge

Das Konzentrationslager Buchenwald war während der Herrschaft der Nationalsozialisten eines der größten Konzentrationslager im Deutschen Reich und nahm dementsprechend eine wichtige Rolle innerhalb des faschistischen Netzwerks von Ausbeutung und Ermordung ein. Im Juli 1937 wurde es an einem waldigen Abhang des Ettersberges, acht Kilometer nördlich von Weimar in Thüringen, von den ersten dort ankommenden Häftlingen errichtet.

Geleitet wurde das Lager zunächst von SS- Standartenführer Karl Koch (1937-1941), später von SS-Oberführer Hermann Pister (1942-1945). Das Hauptlager gliederte sich in ein großes Lager für Langzeithäftlinge, ein kleines Lager für vorübergehende Gefangene und ein Zeltlager für politische Häftlinge. Etwa 130 Außenkommandos und Nebenlager gehörten organisatorisch zu Buchenwald, lagen aber teilweise weit vom Hauptlager entfernt. Das größte unter ihnen war Mittelbau - Dora, nahe Nordhausen.

Raum für medizinische Experimente (ähnlich wie im KZ Buchenwald)
Raum für medizinische Experimente (ähnlich wie im KZ Buchenwald)

Während in der Anfangszeit, also um 1937, „nur" 2561 Gefangene in Buchenwald registriert waren, zählte man im Februar 1945 auf Grund der Räumung von Konzentrations- und Vernichtungslagern im Osten und die Verlegung der Gefangenen Richtung Westen, mehr als 86 000 Häftlinge. Insgesamt waren etwa eine viertel Million Menschen in Buchenwald und seinen Nebenstellen inhaftiert. Zunächst wurden vor allem politische Gefangene in dem Lager festgehalten, später auch in großer Zahl Juden. Über 60000 Menschen kamen in diesem Konzentrationslager ums Leben, die meist wegen der unmenschlichen Haftbedingungen und der harten Arbeit oder aber auch durch Hinrichtungen. Vor allem sowjetische Kriegsgefangene wurden in Buchenwald in großer Zahl systematisch erschossen.

Die meisten Häftlinge mussten zwischen 1937 und 1945 Zwangsarbeiten verrichten, nämlich in der Rüstungsindustrie (zu diesem Zweck waren eigens die „Gustloff- Werke" in Nähe zum Lager errichtet worden), in Gärtnereibetrieben, in Viehstallungen und in einem berüchtigten Steinbruch. Dabei wurden die Juden besonders grausam behandelt; viele von ihnen kamen auch bei medizinischen Experimenten um.

Anderen gelang es, in der Lagerverwaltung, in der Küche oder ähnlichen Einrichtungen und Betrieben zu arbeiten und somit ihr Leben zu retten oder wenigstens erträglicher zu gestalten. Als die alliierten Truppen auf deutschem Boden standen und schließlich gefährlich näher rückten, entschlossen sich die Machthaber und die SS, die Häftlinge in großer Zahl aus dem Lager zu treiben, meist mit unklaren Zielbestimmungen oder vor dem Hintergrund, so wenig Zeugen wie möglich am Leben zu lassen. Auf diesen Todesmärschen, die „Evakuierung" genannt wurden, starben zwischen 12000 und 15000 Menschen. Das Lager wurde am 11. April 1945 von den amerikanischen Streitkräften befreit.

Der 1945 15-jährige Thomas Geve erinnert sich an die Ankunft im Lager, als man ihm sein kleines Messer abnahm, was schrecklich für ihn war: „Als Junge musstest du im kleinen Lager doch dein Brot verteidigen können. Das kleine Lager war die Hölle und die Häftlinge halbe Tiere.

Schließlich gelang es jedoch den politischen Häftlingen, aus dem Block 66 im Kleinen Lager einen weiteren Kinderblock zu machen, in dem sie unter sich sein konnten und in dem auch bessere Verhältnisse herrschten. Hier wurden bis zu 800 Kinder untergebracht.

Der damals ebenfalls 15-jährige Robert Büchler erzählt, wie die ankommenden Kinder im Alter von bis zu 17 Jahren in Buchenwald aufgefordert wurden, in den Kinderblock zu gehen:

„Die meisten Kinder hielten das für einen Trick, eine Selektion und haben sich nicht gemeldet. Wir wussten doch nicht, ob es hier auch Gaskammern gibt. Meine Kameraden aus Auschwitz wurden in den nächsten Tagen auf Transport geschickt und ich habe keinen von ihnen später wieder gesehen."

Robert Büchler hatte sich dazu entschieden, den anderen Häftlingen zu glauben.

Die Kinder, die im Kinderblock 66 untergebracht waren, mussten nicht wie die anderen Häftlinge arbeiten, doch bekamen sie auch weniger zu essen. Sie litten unter Einsamkeit, Heimweh und Angst vor weiteren Repressalien seitens der Nazis. Viele von ihnen waren von ihren Familien getrennt worden.
Die wenigsten unter ihnen waren unter 14 Jahre alt, obwohl 1944 ein Drittel der Häftlinge das 20. Lebensalter noch nicht vollendet hatten.

Im September 1944 kam von der SS der Befehl, das Lager von arbeitsunfähigen Elementen zu säubern. 200 Kinder, fast alle von ihnen Sinti und Roma, wurden nach Auschwitz in den Tod geschickt.

Gefangenenschlafsaal - drei Mann pro Box.
Gefangenenschlafsaal - drei Mann pro Box.

Ende 1944 kamen allerdings, wie bereits angeführt, immer mehr Kinder, vor allem aus Polen, aus der Ukraine und aus Russland in das Lager. Kinder im Kinderblock des großen Lagers unter 14 Jahren mussten nicht arbeiten, über 14 Jahre alte Kinder mussten leichte Arbeiten verrichten.

Zeitzeugen berichten auch von der zunehmenden Abstumpfung und der Verrohung im Lager, die auch vor den jugendlichen Häftlingen nicht Halt machte. Einen großen Teil ihres Lebens hatten sie um Umfeld von Gewalt und Mord verbracht und dabei schreckliche, schwer zu verarbeitende Erfahrungen gemacht. So kam eines Tages ein junger Ukrainer in den Kinderblock, ein Jugendlicher, der als Polizist, als „Hilfswilliger" oder „Trawniki", an Aktionen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen war. Die Kinder, die davon erfahren hatten, hielten einen „Prozess" ab und verhängten in einem Akt der Selbstjustiz ein Todesurteil, welches von ihnen auch sofort vollstreckt wurde.

Diese Begebenheit, die wenig bekannt ist, soll hier ohne Werturteil der nachfolgenden Generationen versehen werden, da eine solche Situation nicht nachvollziehbar sein kann. Zwar ist es möglich, die Lebenssituation der gefangenen Kinder zu beschreiben und auch die grausamen Erfahrungen, die sie schon in jungen Jahren erleben mussten und die wohl eine Rolle bei den Begebenheiten von damals gespielt haben dürften, doch verkörperte der junge Ukrainer wohl einen Feind. Andererseits kann man über diesen jungen Menschen objektiv und absolut ebenfalls kein Urteil fällen, da seine Beweggründe für den Dienst bei den Nazis und seine tatsächlichen Taten nicht bekannt sind. Es handelt sich hier um ein historisches Faktum, doch ist eine Beurteilung nicht angebracht und auf Grund der geringen Dichte von Hintergrundinformationen auch nicht möglich. Allein sie zeigt, wie schrecklich die Lebensumstände im Lager gewesen sein müssen und zu was Menschen in einem Umfeld von Mord und Elend fähig sind.

Zustand der toten menschlichen Körper
Zustand der toten menschlichen Körper
Im Laufe der ersten Hälfte des Jahres 1945 wurde das Lager Buchenwald teilweise evakuiert, über 20000 Häftlinge wurden auf Märsche ins Ungewisse geschickt, viele wurden auf diesen „Todesmärschen" ermordet oder kamen durch Hunger und Entbehrung um.

Auch die Kinder sollten fortgeschickt werden, doch der beherzte Einsatz der politischen Häftlinge und ein Fliegeralarm während des Appells verhinderten einen Marsch oder Transport.

Die amerikanischen Soldaten fanden am 11.04.1945, dem Tag der Befreiung, mehr als 900 Kinder und Jugendliche im Lager vor. Die meisten von ihnen waren Waisen und hatten nichts mehr, was sie mit ihrer Heimat verband und sie wollten somit nicht mehr in ihre Heimatländer zurückgehen. Nur die Kinder aus der Tschechoslowakei entschieden sich zur Heimkehr.

Die amerikanische Armee beschaffte Visa für die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe der jeweiligen Länder, die dann vor allem nach Großbritannien, Frankreich und in die Schweiz gingen. In letztere fuhren 350 der ehemaligen jungen Häftlinge, dort lebten sie eine Weile, um sich zu erholen, zu lernen und ihre Zukunft zu planen. Viele von ihnen fanden in den USA, in Australien und in Israel eine neue Heimat.

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Bildquellen:

Gedenkstätte Buchenwald, Eingangstor - DN-ZB Demme Wa-Schm 15.8.1972 Bez. Erfurt: Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald Blick auf das Eingangstor des ehemaligen KZ Buchenwald. Bundesarchiv, Bild 183-L1114-0300 / CC-BY-SA 

Raum für medizinische Experimente, Seziertisch, KZ Natzweiler-Struthof, Sebastian Mares, gemeinfrei

Germany, April 26, 1942: Prisoners from Buchenwald awaiting execution in the forest. Robert A. Schmuhl, gemeinfrei 

Gefangenenschlafsaal - drei Mann pro Box. Jule Rouard (scan Luc Viatour). Wikipedia, (CC BY-SA 3.0)

Zustand der toten menschlichen Körper . Jule Rouard (scan Luc Viatour). Wikipedia, (CC BY-SA 3.0)

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