Weimar-Lese

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Herders Ruh

Herders Ruh

Christoph Werner

Ein schöner Frühsommermorgen am Wochenende ist eine gute Zeit für eine Radtour nach Herders Ruh.
Wir fahren an der Herz-Jesu-Kirche los, nachdem wir uns vergewissert haben, dass jeder etwas zu essen und zu trinken für ein kleines Picknick mitgebracht hat. Die Innenstadt lassen wir diesmal unberührt und fahren über die Paul-Schneider-Straße, Trierer, Fuldaer, Ettersburger und Rießnerstraße in die Industriestraße. Vor der Nummer 1 halten wir kurz an und werfen einen Blick auf das Gebäude des Bertuch-Verlages, der diese Internetseite, liebe Leserinnen und Leser, eingerichtet hat.

Die Straße steigt weiter sanft an und führt uns schließlich, nachdem wir die B85 „Am Herrenrödchen" mit der nötigen Vorsicht überquert haben, in den Rödchenweg, einen Feldweg, der zum Naturschutzzentrum Weimar/Thüringen e. V. führt. Wir sind jetzt eine halbe Stunde unterwegs und fast nur bergan gefahren. Unser Ziel, „Herders Ruh", liegt links vor uns. Bevor wir uns wie ehemals Herder hier weit außerhalb der Stadtgrenzen niedersetzen, lernen wir etwas über diese interessante Gegend. Eine gute Quelle ist das Lexikon zur Weimarer Stadtgeschichte von Günter, Huschke und Steiner. Hier lesen wir, woher der Rödchenweg seinen Namen hat.

Das Rödchen oder Bürgerrödchen ist ein „am Südhang des Ettersbergs, zwischen Ettersburger und Buttelstedter Straße am oberen Ende des Dürren Bachs gelegenes Laubwäldchen. Um 1323 wurde hier die Ortschaft Kleinroda erwähnt, die in der Folgezeit verödete und zur Wüstung wurde. Die Besitzer der Flur, Bürger der nahen Stadt Weimar, hielten hier bis Mitte des 19. Jahrhunderts ihr jährliches „Hegemahl" ab. Im Jahre 1802 wurde im Rödchen ein Gasthaus gleichen Namens errichtet. Es wurde für viele Generationen Weimarer Bürger ein beliebtes Ausflugsziel. Von der einstigen Idylle ist nicht mehr viel vorhanden. Das Gasthaus existierte bis nach dem Zweiten Weltkrieg, heute sind nur noch die Grundmauern zu finden."

Johann Gottfried von Herder starb im Jahre 1803, nachdem er schon länger krank war und in den Bädern von Aachen und am Egerbrunnen Linderung suchte. Es ist nicht anzunehmen, dass er die erwähnte Gaststätte noch aufsuchen konnte. Auf jeden Fall aber wissen wir, dass man den Ort, wo sich jetzt „Herders Ruh" befindet, auf guten Wegen erreichen konnte.
„Herders Ruh", erbaut von Freunden Herders im Jahre 1850 und dann verfallen, wurde im Jahre 1994 durch das Christliche Jugenddorfwerk wiederaufgebaut. Die Tafel an der als Rückenlehne gedachten halbrunden Steinmauer enthält die Inschrift

 

Denkend blicktest Du Herder
Von hier oft nieder auf Weimar
Dankbar hat Weimar
Den Platz Deinem Gedächtnis geweiht

 

Herder und seiner Familie ging es in Weimar nicht besonders gut. Er war krank und häufig in zumTeil selbstverschuldeten finanziellen Schwierigkeiten, und seine misstrauische, reizbare und hypochondrische Natur machten ihn seinen Zeitgenossen nicht immer angenehm. Außerdem litt er unter der Enge und Kleinbürgerlichkeit der Stadt, in der selbst intime Familienangelegenheiten zum Allgemeingut wurden. Davon legt ein Brief Schillers, der in dieser Hinsicht selbst nicht frei von Redefreudigkeit war, Zeugnis ab. Ich zitiere aus dem Brief nach Konrad Kratzsch, Klatschnest Weimar. Am 29. August 1787 schrieb Schiller an Körner:
„Von den hiesigen großen Geistern überhaupt kommen einem immer närrische Dinge zu Ohren. Herder und seine Frau leben in einer egoischen Einsamkeit und bilden zusammen eine Art von heiliger ZweiEinigkeit, von der sie jeden Erdensohn ausschließen. Aber weil beide stolz beide heftig sind, so stößt diese Gottheit zuweilen unter sich selbst aneinander. Wenn sie also in Unfrieden gerathen sind, so wohnen beide abgesondert in ihren Etagen, und Briefe lauffen, Treppe auf, Treppe nieder, biß sich endlich die Frau entschließt in eigener Person in ihres Ehegemals Zimmer zu treten, wo sie eine Stelle aus seinen Schriften recitiert, mit den Worten: Wer das gemacht hat muß ein Gott seyn und auf den kann niemand zürnen - Dann fällt ihr der besiegte Herder um den Hals und die Fehde hat ein Ende. Schlechter sind diese Gottheiten bestellt, wo sie wieder an die Sterblichkeit gränzen. So weiß man zum Beispiel daß Fleischer und Schneider hunderte an sie zu fodern haben, und zwar seit acht und zehen Jahren. Einer Magd die aus dem Dienst geschickt wurde und welche ihren sehr hoch angelauffenen Lohn foderte setzte die Frau Generalsuperintendenten höchsteigenhändig eine Rechnung von allem zerbrochenen Küchengeschirre auf, daß nur noch 2 oder 3 Thaler zu bezahlen übrig blieben - Preiset Gott, daß ihr nicht unsterblich seid! Bertuch und Herder hassen einander wie die Schlange und des Menschensohn. Bei Herdern geht es soweit daß sich alle seine Züge verändern sollen, wenn Bertuchs Name genannt wird. Aber auch der geschmeidige Bertuch ist an dieser einzigen Stelle sterblich und fühlt etwas höchstseltenes - Leidenschaft."

Wir brauchen nicht viel Einbildungskraft, um uns vorzustellen, welchen Weg eine solche Information über Dienstmädchen, Kaufleute und gute Nachbarn genommen hat, bis sie schließlich zu Schiller gelangte, der nun seinerseits für weitere Verbreitung sorgte.
Nun stellen wir uns vor, dass dieser Klatsch am Ende Herdern zu Ohren kam und er sich erschöpft und Ruhe suchend an den Platz begab, an dem wir uns jetzt auch niederlassen. Auf der Steinsäule vor uns ist genügend Platz für unser mitgebrachtes Essen und Trinken.

Wir genießen den Blick auf Weimar, das sich talwärts in der Morgensonne vor uns ausbreitet und freuen uns über die Menschlichkeit der Großen, die in der Stadt gelebt haben und über die Menschlichkeit unserer Zeitgenossen, die unser Weimar heute zu einer so liebenswerten Stadt machen.

Die Steinbank, stellen wir ganz prosaisch fest, bedarf der Reparatur. Zurück in die Stadt rollen unsere Räder mühelos von selbst. Herder hatte wahrscheinlich größere Mühe, zurück nach Hause und in die Arme seiner Karoline zu gelangen.

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Fotos: Christoph Werner

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Marienhöhe 1
99427 Weimar

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