Weimar-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Weimar-Lese
Unser Leseangebot

Ein Buch, das zu Herzen geht

Klinikclown Knuddel erinnert an die vielen Kindern und Jugendlichen, die er begleiten durfte, und in seinen Geschichten lässt er ihr Wesen und ihre Persönlichkeit nochmals aufleben. Geschichten über die Liebe und einen Clown im Sterbezimmer.

Tiefengruben wird verkauft

Tiefengruben wird verkauft

Günter Rippke

Vielen Weimarern wird das kleine Rundlingsdorf Tiefengruben im Kreis Weimarer Land ein Begriff sein. Der Ort ist seit 1976 als Flächendenkmal eingestuft. Für die Pflege der historischen Siedlungsform und der umliegenden Gärten und der Streuobstwiesen, aber auch in Anerkennung der Bemühungen um das kulturelle Leben wurde der Ort schon mehrfach ausgezeichnet.

Dieses und mehr kann der Besucher einer Informationstafel vor der Kirche entnehmen. Er übersieht aber möglicherweise einen alten Grenzstein, der ganz in der Nähe unauffällig im Grase steht: ein bemooster Zeitzeuge mit der Jahreszahl 1730 auf der Vorderseite. Im oberen Teil erkennt man noch Andeutungen eines Wappens, das Mainzer Rad.

Tiefengruben
Tiefengruben
Ältere Einwohner wissen, dass dieser Stein früher die Grenze der Tiefengrubener Flur gegen Berka (heute Bad Berka) bezeichnete. Er wurde erst in den sechziger Jahren bei der Zusammenlegung der Felder durch die LPG ins Dorf gestellt.

Der neue Platz war gut gewählt, denn so steht er vor einem ebenfalls geschichtsträchtigen Anwesen, das in der Dorfchronik im Zusammenhang mit dem Bauernaufstand von 1525 (dem „Großen Uffruhr") erwähnt wird. Es ist die Geschichte vom Kunz Stadermann, der wegen seiner Teilnahme an der Erhebung gegen die bischöfliche Steuerbedrückung hingerichtet werden sollte, jedoch in letzter Minute fliehen konnte. Sein Hof ging in Gemeindebesitz über, das Haus diente dann bis 1964 als Dorfschule. Die Geschichte des Anwesens und der Grenzstein davor bezeugen, dass Tiefengruben damals zum Erzbistum Mainz gehörte.

Über diese Zusammenhänge mag mancher erstaunt sein. Das Erzbistum Mainz besaß im Mittelalter jedoch ausgedehnte Besitzungen in Bayern und Thüringen, wozu auch das Erfurter Gebiet gehörte. Tiefengruben, wie wir es heute kennen, wurde wahrscheinlich im 12. Jahrhundert auf Weisung des Mainzer Erzbischofs als Kolonistendorf gegründet, um die Versorgung des ihm unterstellten neuen Klosters München (bei Berka) zu sichern. Zuvor gab es hier wohl nur eine bescheidene Ansiedlung von wenigen Höfen um den Dorfquell. Das tiefer gelegene Land war versumpft.

Zur Bearbeitung der dem Kloster durch Schenkung zugefallenen Äcker, Wälder und Wiesen waren aber viele Hände vonnöten. Hieran erinnert heute noch die Bezeichnung Fronefeld für ein Flurstück zwischen München und Tiefengruben.

Die Kolonisten wurden mit zahlreichen Vergünstigungen angeworben (wie z. B. eigenes Back- und Braurecht, was damals keine Selbstverständlichkeit war). Sie unterstanden keinem Landesherrn, sondern blieben direkt dem Mainzer Erzbistum unterstellt.

Die damals Herrschenden, die sehr wohl auch im kirchlichen Gewand daherkommen konnten, betrachteten Ländereien ausschließlich als Einnahmequellen. Dörfer, Städte und ganze Gebiete waren nicht selten Gegenstand reiner Geldgeschäfte. Man konnte sie beleihen, verpachten oder auch verkaufen, die Bevölkerung wurde dazu nicht befragt. Die üppige Hofhaltung bei Landes- wie bei Kirchenfürsten verschlang Unsummen, und eigentlich waren die Herrschaften ständig in Geldnot.

In der Dorfchronik von Tiefengruben findet man dazu folgende Ausführungen:
1592 wurde ein die damaligen Verhältnisse sehr kennzeichnender Vertrag zwischen Kurmainz und dem Herzog Friedrich Wilhelm I geschlossen. Der Erzbischof verkaufte darin seine Rechte über „die Ämter Tonndorf ganz und Mühlberg halb" für 40 Jahre an das Herzogtum Sachsen-Weimar. Unter den Rechten verstand man die Einnahmen, die sich aus den Gebieten ziehen ließen. Die gesamte Rechtslage dieses Handels war jedoch kompliziert, und Erfurt protestierte gegen den Vertrag, denn er erfasste auch einige Dörfer, die ihre Abgaben an die Stadt zu richten hatten. Der Ort Tiefengruben hingegen war weder dem Rat von Erfurt noch dem Amt Tonndorf unterstellt.

Das bekümmerte den Herzog wenig; er ließ kurzer Hand die Dörfer von Weimarischen Truppen besetzen und die Burg Tonndorf nehmen.

Das konnte Erfurt nicht akzeptieren und verlangte die Rückgabe der Dörfer. Der Herzog bot zwar eine Zahlung für die besetzten Orte an, aber der Rat verweigerte 10 Jahre lang die Annahme. Was freilich nichts bewirkte, Weimar rückte seine neuen Besitzungen nicht wieder raus.

1602 sah Erfurt sich dann doch gezwungen, den „Pachtschilling" anzunehmen - es herrschte wieder einmal Ebbe in der Stadtkasse. Der Kaufvertrag zwischen Kurmainz und Sachsen-Weimar wurde nun als rechtskräftig anerkannt. Damit war auch Tiefengruben verkauft. Man möchte fast sagen: aus Versehen mitverkauft, denn es stand in diesem ganzen Handel überhaupt nicht zur Debatte.

Das „Klosterdorf", wie Tiefengruben in der Umgebung auch genannt wurde (obwohl das Münchener Kloster längst erloschen war), geriet dadurch unter weltliche Herrschaft, was sich sogleich in neuen Verordnungen und Abgaben bemerkbar machte. Beispielsweise wurde die Fronarbeit wieder eingeführt, wovon Tiefengruben bis dahin befreit war, und als Untertanen hatten sich die Bewohner durch verordnete Übungen wehrtüchtig zu halten. Das Aufstellen von Taubenhäusern wurde ihnen verboten, da dies als ein Vorrecht des Adels galt. Die Bauern mussten die Pferdezucht intensivieren, was ihnen sehr unwillkommen war: sie erledigten ihre geringen Fuhren günstiger mit dem Kuhgespann. Der Weimarer Hof hatte für Repräsentation und Militär jedoch ständigen Bedarf an guten Pferden.

Aus den vorgesehenen 40 Jahren Sächsischer Herrschaft wurden dann 88, denn in dem inzwischen wütenden Dreißigjährigen Krieg hatte Mainz die Thüringischen Besitzungen an Erfurt verloren und war nicht in der Lage, irgendwelche Rückforderungen zu stellen. Erst 1680 fielen „die Ämter Tonndorf ganz und Mühlberg halb" und auch das widerrechtlich vereinnahmte Tiefengruben an das Erzbistum zurück.

1815, nach kurzer Zugehörigkeit zu Preußen, kam das Gebiet bei der territorialen Neuordnung durch den Wiener Kongress erneut für hundert Jahre unter Sächsisch-Weimarische Verwaltung.

Heute ist Tiefengruben Ortsteil von Bad Berka. Seine dörflich-kulturelle Eigenständigkeit konnte der Ort über die zahlreichen Wechsel der Zugehörigkeit jedoch erhalten und in neuerer Zeit sogar noch verstärken, wie das auch die Jahresprogramme für die Veranstaltungen im Dorf zeigen.

----

Fotos: Florian Russi

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Ideal und Wirklichkeit
von Günter Rippke
MEHR
Das Messhaus
von Carolin Eberhardt
MEHR
Die Weimarer Republik
von Andreas Michael Werner
MEHR
Anzeige:
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen