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Florian Russi

Im Zeichen der Trauer

Tröstungen für Hinterbliebene, 2006, 64 Seiten
Feinfühlig und doch nüchtern und realitätsnah dargestellt, sollen die Texte Tränen trocknen und Mut zusprechen

Die Kinder im KZ Buchenwald

Die Kinder im KZ Buchenwald

Volker Schmidt

Geschichte und Situation minderjähriger Häftlinge

Das Konzentrationslager Buchenwald war in seiner Struktur und Planung nicht als ein Lager gedacht, in welchem auch Kinder inhaftiert sein sollten, zumal viele von ihnen laut der nationalsozialistischen Ideologie „lebensunwerte Elemente" darstellten oder sie auch im Sinne der faschistischen Ausbeutung als Arbeitssklaven nicht zu gebrauchen waren. Daher muss hervorgehoben werden, mit welchen Schwierigkeiten und ungünstigen Bedingungen Kinder und Jugendliche im Alltag konfrontiert waren. Im Lager selbst versuchte man seitens der Häftlinge, welche im Rahmen ihrer Arbeit in der Lagerverwaltung oder ihres Einflusses auf Grund von Beziehungen oder Mitgliedschaft im Internationalen Lagerkomitee die entsprechenden Möglichkeit hatten, die ankommenden Jungen bei ihren Vätern zu belassen, um wenigstens sie vor den Weitertransporten in Richtung Osten zu bewahren. Bis Ende 1944 hatte es in dem Lager bis auf die Jungen der Maurerlehrkurse und des Kommandos „Polenschule" keine Kinder oder Jugendliche gegeben.
Unter den Häftlingen befinden sich auch Jugendliche und Kinder. Einer von ihnen ist Naftali Fürst. Er ist zum Zeitpunkt dieser Aufnahme gerade einmal 12 Jahre alt. (Rote Kennzeichnung)
Unter den Häftlingen befinden sich auch Jugendliche und Kinder. Einer von ihnen ist Naftali Fürst. Er ist zum Zeitpunkt dieser Aufnahme gerade einmal 12 Jahre alt. (Rote Kennzeichnung)
Als am 11.04.1945 Soldaten der 6.Panzerdivision der 3. US Armee das Lager einnahmen, nachdem es die Häftlinge nach der Flucht der meisten SS-Truppen übernahmen und die restlichen Peiniger von bewaffneten Mitgliedern des Internationalen Lagerkomitees (ILK) oder dessen Unterorganisation, der Internationalen Militärorganisation (IMO) festgenommen waren, fanden sie 21000 Häftlinge vor, welche zwar in einem katastrophalen gesundheitlichen Zustand, aber endlich ihre Freiheit erleben durften. Insgesamt waren über 240000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern in Buchenwald inhaftiert, ca. 60000 von ihnen kamen hier ums Leben. Unter den Überlebenden befanden sich auch über 900 Kinder.

Dass sich die Situation der Kinder und Jugendlichen in den Konzentrationslagern ebenso und oft schrecklicher oder tödlicher darstellte, als die ihrer ohnehin gepeinigten Mithäftlinge, zeigt unter anderem eine polnische Dokumentation, der zur Folge allein in Polen dem faschistischen Terror 1,8 Millionen Kinder bis zu 16 Jahren zum Opfer fielen. Unter den rund 6 Millionen ermordeten Juden aus ganz Europa befanden sich ungefähr 1,2 Millionen Kinder. In der UdSSR wurden mindestens 2 Millionen Zivilisten umgebracht, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche.

Eingangstor zum KZ Buchenwald
Eingangstor zum KZ Buchenwald
Insgesamt wurden in den Konzentrationslagern, Jugendlagern, Haftanstalten und Gestapo - Zentralen 11 Millionen Menschen vergast, erschossen, gehenkt, erschlagen oder starben auf Grund von Hunger, Auszehrung, Seuchen und medizinischen Versuchen.

Zunächst erreichten Buchenwald zumeist nur Transporte, deren Weg zu anderen Konzentrationsoder Vernichtungslager führte. Wie bereits erwähnt, versuchten die Häftlinge oft alles in ihrer Macht stehende, die Jungen mit den Vätern, die als Arbeitskräfte in Buchenwald aussortiert wurden, in das Lager zu bringen, um wenigstens sie zu retten. Man machte sie auf dem Papier älter und kümmerte sich um sie. Das Ziel war es hier, die Jungen in leichten Arbeitskommandos, Innen- und Handwerkskommandos, unterzubringen. Es handelte sich in der Anfangszeit besonders um sowjetische und polnische Kinder.

Da die Nazis im Laufe des Krieges schwere Verluste hinnehmen mussten, galt es, ihre Armeen mit Männern aufzufüllen. Diese Einberufung betraf auch Fachkräfte aus der heimischen Industrie. Da hier ein Mangel eintrat, konnten die Häftlinge, unter ihnen der Deutsche Robert Siewert, der Kapo des Baukommandos 1, die SS mit diesem Argument dazu umstimmen, einen Maurerlehrkurs zu bilden. Die Ausbildung dieser Fachkräfte konnte also im Spätherbst 1940 begonnen werden. Hier wurden vor allem junge Leute untergebracht. Später, im Frühjahr 1942, gelang es den Häftlingen in einflussreichen Positionen unter dem Vorwand, Sprachbarrieren und Verständigungsschwierigkeiten überwinden zu wollen, Deutschunterricht für die polnischen Jungen zu organisieren.

Eingangstor "Jedem das Seine"
Eingangstor "Jedem das Seine"
Der 1945 15-jährige Thomas Geve erinnert sich an die Ankunft im Lager, als man ihm sein kleines Messer abnahm, was schrecklich für ihn war: „Als Junge musstest du im kleinen Lager doch dein Brot verteidigen können. Das kleine Lager war die Hölle und die Häftlinge halbe Tiere."

Schließlich gelang es jedoch den politischen Häftlingen, aus dem Block 66 im Kleinen Lager einen weiteren Kinderblock zu machen, in dem sie unter sich sein konnten und in dem auch bessere Verhältnisse herrschten. Hier wurden bis zu 800 Kinder untergebracht.

Der damals ebenfalls 15-jährige Robert Büchler erzählt, wie die ankommenden Kinder im Alter von bis zu 17 Jahren in Buchenwald aufgefordert wurden, in den Kinderblock zu gehen: „Die meisten Kinder hielten das für einen Trick, eine Selektion und haben sich nicht gemeldet. Wir wussten doch nicht, ob es hier auch Gaskammern gibt. Meine Kameraden aus Auschwitz wurden in den nächsten Tagen auf Transport geschickt und ich habe keinen von ihnen später wieder gesehen. Robert Büchler hatte sich dazu entschieden, den anderen Häftlingen zu glauben.
Die Kinder, die im Kinderblock 66 untergebracht waren, mussten nicht wie die anderen Häftlinge arbeiten, doch bekamen sie auch weniger zu essen. Sie litten unter Einsamkeit, Heimweh und Angst vor weiteren Repressalien seitens der Nazis. Viele von ihnen waren von ihren Familien getrennt worden.

Die wenigsten unter ihnen waren unter 14 Jahre alt, obwohl 1944 ein Drittel der Häftlinge das 20. Lebensalter noch nicht vollendet hatten.

Im September 1944 kam von der SS der Befehl, das Lager von arbeitsunfähigen Elementen zu säubern. 200 Kinder, fast alle von ihnen Sinti und Roma, wurden nach Auschwitz in den Tod geschickt.

Gegen ihre ursprünglichen Absichten konnte die SS also überredet werden, Kinder und Jugendliche im Lager zu behalten und auszubilden. Der Maurerlehrkurs und das „Kommando Polenschule" konnten damit Leben retten. Die Kinder und Jugendlichen waren etwas sicherer und mussten nicht wie viele andere Häftlinge schwere Arbeiten verrichten oder Deportationen fürchten.

Auch wurde seitens der Häftlinge in Arbeitsschreibstube und Arbeitsstatistik bei einigen Kindern das Alter gefälscht, um sie älter zu machen und somit als arbeitsfähig erscheinen zu lassen. Bei akuter Gefahr durch Deportation wurden Kinder in den Häftlingskrankenbau gebracht und durch eine harmlose, aber fieberverursachende Injektion transportunfähig gemacht.

Weiterhin überredeten die Mitglieder des illegalen Widerstands die Lagerleitung zur Einrichtung des Kinderblocks 8. Dieser wurde im Sommer 1943 in der ehemaligen Isolierbaracke 8 untergebracht. Zum Zeitpunkt der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald befanden sich in dem Kinderblock über 400 Kinder.

Ab Ende 1944 verschlechterten sich die Zustände im Lager noch mehr, als zahlreiche Transporte von den Evakuierungen der Lager im Osten auch Buchenwald erreichten. Die großen Lager, darunter die Vernichtungslager, deren Gaskammern teilweise gesprengt worden waren, um Beweise zu verwischen und die Massenvernichtung nicht mehr von Statten gehen konnte, da die Front heranrückte, wurden systematisch geleert, viele Menschen auf Transporte ins Nirgendwo geschickt, wenn sie nicht gleich umgebracht wurden. Solche Fahrten und Märsche widerfuhren auch Kindern aus Auschwitz, die nach Tagen ohne Essen, nach Tagen des unermüdlichen Marschierens im Laufschritt, nach Tagen der Kälte in Güterwagen und nach Tagen der völligen Erschöpfung auch in Buchenwald ankamen.

Die Kinder wurden, so gut es ging, von den dortigen Häftlingen aufgenommen, versorgt und untergebracht. Hier erfuhren sie nach eigenen Angaben erstmals Zusammenhalt unter den Lagerinsassen. In Auschwitz hatte jeder allein ums Überleben gekämpft.

Da der Kinderblock überfüllt war, wurden die Kinder von den Transporten gemeinsam mit den anderen Neuankömmlingen in das Kleine Lager gebracht. Dort war die Situation noch prekärer als ohnehin in den Konzentrationslagern, schlimmer als im Großen Lager und sowieso in Zeiten der Überfüllung mehr als kritisch: es gab weniger Nahrungsmittel, die Unterbringung erfolgte in Pferdeställen, die ursprünglich für 50 Pferde konstruiert waren und in denen bis zu 1500 Menschen vor sich hin vegetierten. Auch konnte keiner mehr etwas von dem anfänglichen, freundlichen Gesten und Bemühungen spüren, da hier der nackte Kampf ums Überleben, um ein wenig Essen mehr, um einen etwas besseren Schlaflatz noch härter geführt wurde. Misshandlungen, Diebstähle und Prügeleien stellten keine Seltenheiten dar. Jeder musste das wenige, das er besaß verteidigen und jeder war sich selbst der Nächste.

Weimarer Bürger werden mit den Zuständen im KZ Buchenwald konfrontiert
Weimarer Bürger werden mit den Zuständen im KZ Buchenwald konfrontiert
Ende 1944 kamen allerdings, wie bereits angeführt, immer mehr Kinder, vor allem aus Polen, aus der Ukraine und aus Russland in das Lager.
Kinder im Kinderblock des großen Lagers unter 14 Jahren mussten nicht arbeiten, über 14 Jahre alte Kinder mussten leichte Arbeiten verrichten.

Zeitzeugen berichten auch von der zunehmenden Abstumpfung und der Verrohung im Lager, die auch vor den jugendlichen Häftlingen nicht Halt machte. Einen großen Teil ihres Lebens hatten sie um Umfeld von Gewalt und Mord verbracht und dabei schreckliche, schwer zu verarbeitende Erfahrungen gemacht. So kam eines Tages ein junger Ukrainer in den Kinderblock, ein Jugendlicher, der als Polizist, als &bdquobdquo;Hilfswilliger" oder „Trawniki", an Aktionen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen war. Die Kinder, die davon erfahren hatten, hielten einen „Prozess" ab und verhängten in einem Akt der Selbstjustiz ein Todesurteil, welches von ihnen auch sofort vollstreckt wurde.

Diese Begebenheit, die wenig bekannt ist, soll hier ohne Werturteil der nachfolgenden Generationen versehen werden, da eine solche Situation nicht nachvollziehbar sein kann. Zwar ist es möglich, die Lebenssituation der gefangenen Kinder zu beschreiben und auch die grausamen Erfahrungen, die sie schon in jungen Jahren erleben mussten und die wohl eine Rolle bei den Begebenheiten von damals gespielt haben dürften, doch verkörperte der junge Ukrainer wohl einen Feind. Andererseits kann man über diesen jungen Menschen objektiv und absolut ebenfalls kein Urteil flullen, da seine Beweggründe für den Dienst bei den Nazis und seine tatsächlichen Taten nicht bekannt sind. Es handelt sich hier um ein historisches Faktum, doch ist eine Beurteilung nicht angebracht und auf Grund der geringen Dichte von Hintergrundinformationen auch nicht möglich. Allein sie zeigt, wie schrecklich die Lebensumstände im Lager gewesen sein müssen und zu was Menschen in einem Umfeld von Mord und Elend fähig sind.

Im Laufe der ersten Hälfte des Jahres 1945 wurde das Lager Buchenwald teilweise evakuiert, über 20000 Häftlinge wurden auf Märsche ins Ungewisse geschickt, viele wurden auf diesen „Todesmärschen" ermordet oder kamen durch Hunger und Entbehrung um.

Auch die Kinder sollten fortgeschickt werden, doch der beherzte Einsatz der politischen Häftlinge und ein Fliegeralarm während des Appells verhinderten einen Marsch oder Transport.

Die amerikanischen Soldaten fanden am 11.04.1945, dem Tag der Befreiung, mehr als 900 Kinder und Jugendliche im Lager vor. Die meisten von ihnen waren Waisen und hatten nichts mehr, was sie mit ihrer Heimat verband und sie wollten somit nicht mehr in ihre Heimatländer zurückgehen. Nur die Kinder aus der Tschechoslowakei entschieden sich zur Heimkehr.

Die amerikanische Armee beschaffte Visa für die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe der jeweiligen Länder, die dann vor allem nach Großbritannien, Frankreich und in die Schweiz gingen. In letztere fuhren 350 der ehemaligen jungen Häftlinge, dort lebten sie eine Weile, um sich zu erholen, zu lernen und ihre Zukunft zu planen. Viele von ihnen fanden in den USA, in Australien und in Israel eine neue Heimat.

Filmaufnahmen des KZ Buchenwald kurz nach der Einnahme durch die 3. US-Armee.

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Bildquellen:

Gefangene im KZ Buchenwald, 1945, USA, Gemeinfrei 

Eingangstor zum KZ Buchenwald, Steigleder, Theresa

Eingangstor "Jedem das Seine", Steigleder, Theresa

Weimarer Bürger werden mit den Zuständen im KZ Buchenwald konfrontiert, Walter Chichersky, US-Army, 1945, USA, Gemeinfrei


Videoquelle: 

Filmaufnahmen des KZ Buchenwald kurz nach der Einnahme durch die 3. US-Armee., Dieses Video wurde von einem Mitglied der United States Army während der Ausführung seiner Dienstpflichten erstellt. Als eine Arbeit der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ist dieses Video somit gemeinfrei.

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