Adele (Adèle) Schopenhauer, wurde 1797 in Hamburg geboren und ist 1849 in Bonn gestorben. Trotzdem gehört sie auf eine den Weimarer Persönlichkeiten gewidmete Seite, und zwar als eigenständige Schriftstellerin, Dichterin, Künstlerin und Kunstkritikerin und nicht als „Schwester des berühmten Philosophen“ oder als „Tochter der gefeierten Autorin und Salondame Johanna Schopenhauer“, wie es oft in der Literatur und in den Biographien der Fall ist. Adele Schopenhauer kam nach Weimar, als sie 9 Jahre alt war: ihre Mutter hatte, nach dem Suizid ihres Mannes in Hamburg im Frühjahr 1806, die Goethestadt für einen neuen Anfang des familiären Lebens ausgewählt. Die Malerin Caroline Bardua schuf ein besonderes Porträt der beiden: Johanna ist hier die selbstbewusste Dame, die sie sich als Malerin darstellen lässt, und Adele ist das reizende Kind, rosa gekleidet, das zuversichtlich auf die Mutter blickt (das Bild befindet sich heute im Goethe-National Museum und ist ein posthumes Geschenk Adeles).
Die Teeabende bei der kunst- und kulturinteressierten Johanna, bei denen Goethe oft Gast war, wurden rasch der Treffpunkt der intellektuellen Gesellschaft Weimars: Schriftsteller, Gelehrte, Musiker und Künstler, alle drängten sich um sie, in der Hoffnung, den Dichter zu sehen; der wiederum spielte oft mit der kleinen Adèle, die ihn bald „Vater“ nennen durfte. Die Jugendjahre Adele Schopenhauers waren glücklich: das hoch kultivierte und talentierte Mädchen wurde von Goethe als Schauspielerin und Künstlerin höchst geschätzt, die Schönheit ihrer Scherenschnitte wurde in Goethes Versen verewigt, die innige Freundschaft mit Ottilie von Pogwisch, die 1817 Goethes Schwiegertochter wurde, machte Adele zu einem willkommenen Gast am Haus am Frauenplan. Aber 1819 wurde jede Hoffnung eines glücklichen und sorglosen Lebens zerstört: das Bankhaus Muhl in Danzig, in dem Johanna und Adele ihr Vermögen angelegt hatten, deklarierte Bankrott, Adele war jetzt keine wohlhabende junge Dame mehr und musste, um für die ständigen Schulden der Mutter aufzukommen, sogar ihre Mitgift opfern. Sie selber beschrieb 1831 ihre damalige Situation in einem bewegten Brief an ihren Bruder: „Wenige sind wohl so glücklich gewesen als ich im Leben: das plötzliche Aufhören des Glücks und die Verachtung, die dieses Aufhören mir gegen die liebsten Menschen aufzwang, brachte mich in die Mitte zwischen Wahnsinn und Tod“ . Wie bei einem Pokerspiel, versuchten die zwei Frauen ihr Leben in Weimar mit sehr wenigen Beschränkungen weiter zu führen: Johanna schrieb und hatte Erfolg, obwohl das, was sie damit verdiente, nie ihre Schulden ausgleichen konnte, Adele publizierte in Becker’s Tachenbuch ein wunderschönes Rätselalphabet mit ihren Scherenschnitten und verkehrte weiter in der Weimarer und Jenaer Gesellschaft. Das Ende der Liebesbeziehung mit dem Chemiker Gottfried Osann 1826 war aber ein zu harter Schlag für die inzwischen 29 jährige: 1828 entschieden die Schopenhauers aus Weimar auszuziehen und gingen an den Rhein, zuerst nach Unkel, wo sie ein Haus von Adeles Freundin Sibylle Mertens-Schaaffhausen mieten konnten, dann nach Bonn, wo der Salon der bekannten Archäologin und Mäzenin Mertens-Schaaffhausen einen regen Austausch mit Intellektuellen und Schriftstellern ermöglichte: Adele fand hier Kraft, um in der literarischen Welt aufzutreten. Sie beteiligte sich mit mehreren Gedichten an der von Ottilie gegründeten Zeitschrift Chaos und publizierte eine Novelle für die Zeitschrift Phönix.
Das kostspielige Leben Johannas hatte aber die Ressourcen auch in Bonn stark reduziert, und nur dank einer Leibrente des Großherzogs Carl Friedrich konnten die Schopenhauers sich 1837 in Jena niederlassen. Hier starb Johanna am 16. April 1838, und Adele musste für sich selbst versorgen. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte sie sich wirklich entfalten und ihre Fähigkeiten und reichen Kenntnisse in den Domänen der Literatur und der Kunst zeigen: sie arbeitete als Privatlehrerin und Übersetzerin, verkaufte selbstgemalte Blumenbilder und Miniaturen, fertigte Titelblätter für die Publikationen der Freunde, gab den Nachlass der Mutter heraus (Jugendleben und Wanderbilder, 1839), publizierte zwei Novellen in der Zeitschrift Frauenspiegel, schrieb das Libretto für die Oper König Enzio (1846) von Walter von Goethe, das Drama Erlinde mit Wolfgang von Goethe (1845) und gab zwei Bücher zum Druck ( Haus- , Wald und Feldmärchen, 1844; Anna, 1845).
Ende 1844 verreiste sie, trotz der Diagnose einer tödlichen Krankheit (Unterleibskrebs) nach Italien. Dort schrieb sie ihren letzten Roman Eine dänische Geschichte (1848), und wurde die Italienkorrespondentin für die wichtigsten Zeitschriften der Zeit: für das Kunstblatt schrieb sie über mittelalterliche Manuskripte in der Vatikanbibliothek und über die deutsche Kunst in Rom, für das Morgenblatt beschrieb sie die Ausstellungen in Florenz und die neueste Literatur der Vormärzzeit in Italien, für Europa (die Zeitschrift Gustav Kühnes in Dresden) schickte sie Berichte über die renommierten Bildhauer und Maler Italiens; dazu publizierte sie biographische Novellen über Renaissancekünstler und arbeitete an einem Reiseführer der Stadt Florenz, voller Anekdoten und historischer Ereignisse, den sie leider nicht zu Ende schreiben konnten (das Manuskript wurde 2007 von Meierhofer ediert). Als sie für einen kurzen Aufenthalt nach Deutschland kam, wurde von einem Schub der Krankheit geschwächt und starb in den Armen ihrer Freundin Sibylle in deren Haus in Bonn am 25 August 1849; drei Tage später, an Goethes 100. Geburtstag, wurde sie begraben.
Adele Schopenhauer hinterlässt ein literarischen Werk in Versen und Prosa, das teilweise noch als Manuskript im Goethe Schiller Archiv liegt, und ein fast unbekanntes künstlerisches Werk (abgesehen von den gefeierten Silhouetten) von Aquarellen, Arabesken, Zeichnungen, Miniaturen, das sich hauptsächlich in den Kunstsammlungen Weimars befindet.
*****
Bildquellen:
Vorschaubild, Adele Schopenhauer von Alexander von Sternberg (1806-1868), gemeinfrei
Johanna und Adele Schopenhauer Ausschnitt von Caroline Bardua (1781-1864), gemeinfrei
Literatur:
G. Buch, Alles Leben ist Traum : Adele Schopenhauer ; eine Biographie, Berlin : Aufbau-Taschenbuch-Verl, 2002
S. Müller-Wolff, "Zarte schattende Gebilde, fliegt zu eurer Künstlerin" : die Silhouettenalben der Adele Schopenhauer im Bestand des Goethe-Nationalmuseums, In: Die Pforte : Veröffentlichungen des Freundeskreises Goethe-Nationalmuseum e.V.. - Weimar : Freundeskreis Goethe-Nationalmuseum, Bd. 8.2006, S. 217-229
Adele Schopenhauer. Hrsg. von Waltraud Maierhofer, Florenz : ein Reiseführer mit Anekdoten und Erzählungen (1847/48), sowie weitere Aufzeichnungen über Italien ; nach den handschriftlichen Fragmenten, Weimar : VDG, 2007