1778 nahm sich der Züricher Maler und Kunstschriftsteller Johann Caspar Füssli der beiden Schüler seines verstorbenen Kollegen Koella an. Diese waren sein Neffe Heinrich Koella und Johann Heinrich Meyer (geboren am 16. März 1760).
Mit der Edition der Geschichte von Winckelmanns Briefen [1758-1764] an seine Freunde in der Schweiz leistete Füssli seinen Beitrag, die klassizistischen Lehren des Altertumsforschers an die nachfolgende Generation weiterzugeben. 1784 machten sich der 24-jährige Meyer und sein Jugendfreund Koella selbst auf den Weg nach Rom. Auf dem Pincio fanden sie Anschluss bei der deutschsprachigen Künstlerkolonie, darunter Angelika Kauffmann, Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Christian Heinrich Kniep, Friedrich Bury und Aloys Hirt.
Johann Wolfgang von Goethe erreichte die Ewige Stadt am 29. Oktober 1786. Inkognito - als Maler Möller - wollte er in Italien seine Kunstkenntnisse vertiefen, die Altertümer studieren und seine zeichnerischen Fertigkeiten vervollkommnen. Nach Tischbein und Kniep hatte er ab Oktober 1787 mit Meyer einen wirklichen Freund und kompetenten Lehrer an seiner Seite. Es war der Beginn einer mehr als 45 Jahre währenden Freundschaft.
Als Goethe am 23. April 1788 Rom wieder Richtung thüringische Heimat verließ, ging Meyer nach Neapel. Dort traf Anfang Januar 1789 die Herzoginmutter Anna Amalia ein. In ihrer Suite befand sich Johann Gottfried Herder, dessen Güte Meyer schätzen lernte. Dank Herders und Goethes Fürsprache erhielt er die Zusage für ein Stipendium des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach. Damit war der weitere Aufenthalt in Rom gesichert. Anfang November 1791 folgte Meyer der Einladung in die Residenzstadt Weimar. Bei Goethe - im sogenannten Jägerhaus (heutige Marienstraße 3) - fand er Familienanschluss.
Aus dem bescheidenen Begleiter Meyer wurde Goethes „Kunschtmeyer". Das Haus am Frauenplan sollte wieder bezogen werden. Vorher musste das spätbarocke Gebäude zu einem Wohn- und Arbeitsdomizil im klassizistischen Stil umgebaut werden. Da die Handwerker gleichzeitig mit dem Wiederaufbau des Stadtschlosses und der Errichtung des Römischen Hauses beschäftigt waren, verzögerten sich die Arbeiten bis 1795. Unter Meyers Aufsicht wurde vor dem Gelben Saal des Hauses am Frauenplan das Logo SALVE - Sei willkommen! - installiert. Er selbst schuf das Deckenbild Iris auf dem Regenbogen (1792) und vier Supraporten um Amor (1792/95). Nach dem Vorbild Raffaels entstand das anrührende Bildnis Christiane mit dem kleinen August (1792). Mit dem von ihm geschaffenen Porträt (1794/95) war Goethe weniger zufrieden und hängte es im Gartenhaus auf - vor der Öffentlichkeit verborgen.
Seit 1792 arbeitete Meyer als Lehrer an der Fürstlichen Freien Zeichenschule, im Dezember 1795 erhielt er eine Professur. Die gemeinsamen Kunststudien in Rom, wozu Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums „ein treuer Führer" war, hatten Goethe einst bewogen, den Freund nach Weimar zu holen. Von Mitte 1795 bis Ende 1797 sandte er ihn noch einmal nach Italien. Meyer sollte für eine gemeinsame Kunstgeschichte recherchieren.
Zurück in Weimar beaufsichtigte Meyer zunächst die klassizistische Ausgestaltung des Stadtschlosses. Nach dem Tod des Direktors der Zeichenschule Georg Melchior Kraus im Jahre 1806 übernahm er dieses Amt. Unter Meyers Leitung zog die Schule vom Roten Schloss ins Fürstenhaus, im Jahre 1811 von dort ins Jägerhaus. Aus der Fürstlichen Freien Zeichenschule gingen so namhafte Künstler wie Caroline Louise Seidler, Caroline Bardua, Friedrich Preller und Angelica Bellanota Facius hervor.
1798 gründeten Goethe und Meyer die Kunstzeitschrift Propyläen. Ganz im klassizistischen Sinne wollten sie auf die Künstler und Kunstliebhaber ihrer Zeit einwirken. Durch Winckelmanns Griechenlandbegeisterung und eigene Italienreisen inspiriert entlehnten sie ihre berühmt gewordenen Preisaufgaben - ausnahmslos Zeichnungen - Homers Ilias und Odyssee. Die Siegerarbeiten wurden in den Propyläen bzw. in der in Jena gegründeten Allgemeinen Literatur-Zeitung publiziert.
In Weimar sind zahlreiche Kunstwerke von der Hand des Künstlers Meyer zu sehen, darunter
im Haus am Frauenplan
- Iris auf dem Regenbogen (1792)
- Christiane und August (1792/93)
- Supraporten um Amor (1792/95
- Aldobrandinische Hochzeit (1795/96)
im Goethe-Nationalmuseum
- Johann Wolfgang Goethe (1794/95)
im Wittumspalais
- Selbstbildnis (um 1810)
in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek
- Geflügelter Genius des Ruhms (1794)
am Römischen Haus
- Fries Apoll und die neun Musen (1798)
Am 12. Januar 1803 heiratete Heinrich Meyer Amalie von Koppenfels, mit der er zweiundzwanzig Jahre - zunächst in Jena, dann in Weimar - in stillem Glück lebte. In den nachfolgenden Jahren arbeitete er mit anderen Weimarischen Kunstfreunden an Goethes Schrift Winckelmann und sein Jahrhundert (1805) mit. Von 1809 bis 1815 schrieb Hofrat Meyer an seiner eigenen Geschichte der Kunst, die 1974 postum in Weimar herausgegeben wurde. 1824 erschien in Dresden Heinrich Meyer´s Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen. Im gleichen Jahr wurde im Jägerhaus die Großherzogliche Kunstsammlung - das erste Weimarer Museum - eröffnet. Stets vertraute Goethe auf das Urteil des sachverständigen Freundes. So äußerte er am 20. April 1825 gegenüber seinem Vertrauten Johann Peter Eckermann: „In Meyer liegt eine Kunsteinsicht von ganzen Jahrtausenden."
Die folgende Anekdote schildert eine der ausgedehnten Spazierfahrten, die Goethe und Meyer bei schönem Wetter in die Weimarer Umgebung unternahmen. Unterwegs hätten sie oft lange wortlos nebeneinander gesessen. Habe dann der „Geheimbderath" ein „Hm, hm" hören lassen, beeilte sich der „Kunschtmeyer" mit einem zustimmenden „So ischt's" zu reagieren ( 1 ).
Meyer starb am 14. Oktober 1832 in Jena - sieben Monate nach Goethe. Seine Grabstätte befindet sich an der östlichen Seite des Historischen Friedhofs von Weimar, in der Nordstadt erinnert seit 1876 die Meyerstraße an diesen großen Künstler und Wissenschaftler.
Anmerkungen:
( 1 ) zitiert nach: Jochen Klauß, Der Kunschtmeyer. Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar,
2001, S. 323
Abbildungsnachweis:
( 1 ) Johann Heinrich Meyer, Selbstbildnis (um 1784). Zentralbibliothek Zürich
( 2 ) Johann Heinrich Meyer, Aldobrandinische Hochzeit (1795/96. Stiftung Weimarer Klassik (Foto: Sigrid
Geske)