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Sebastian Hennig

Kennst du Theodor Fontane?

Vom jungen Apotheker über den Balladendichter und Journalisten wurde Fontane zum gefeierten Reiseberichtautor und späten Romancier. Das Buch begleitet den Autor auf seinem Weg und stellt gleichzeitig die Frage: Was können uns Fontanes Beobachtungen heute noch sagen?

Auf der Flucht

Auf der Flucht

Eberhard Neumeyer

Richard Wagner in Weimar und Magdala 13. bis 24. Mai 1849

Der Dresdner Steckbrief vom 16. Mai 1849
Der Dresdner Steckbrief vom 16. Mai 1849

Der bekannte Dresdner Steckbrief gegen Richard Wagner vom 16. Mai 1849 wegen »... wesentlicher Teilnahme an der in hiesiger Stadt stattgefundenen aufrührerischen Bewegung ...« ist nur vordergründiges Kennzeichen einer für Wagner insgesamt typischen Lebens- und Schaffensetappe. Der Brief erregte damals Aufsehen und beeindruckt heute immer wieder Schüler verschiedenster Altersgruppen im Musikunterricht der Schulen. Revolution als eines der zentralen Unterrichtsanliegen vor 1989 und als zeitloses Reizwort. Richard Wagner selbst hat in seiner Lebensbeschreibung und in zahlreichen Briefen persönliche Zeugnisse hinterlassen, die ein eindrucksvolles Bild seiner sächsisch-thüringischen Fluchtreisen geben: Dresden-Chemnitz, zurück nach Dresden, Dresden-Freiberg-wieder Chemnitz, um die Frau in Sicherheit zu bringen, Chemnitz-Altenburg-Weimar, um sich selbst in Sicherheit zu bringen, Weimar-Niederzimmern-Magdala, mehrstündige Fußwanderung nach Jena, mit der Bahn und dem Postwagen Flucht über Bayern in die Schweiz.
Am 13. Mai 1849 trifft Richard Wagner, »Revolutionär und Barrikadenkämpfer«, Besitzer eines falschen Passes, im Weimarer Hotel »Zum Erbprinz« bei Franz Liszt, seinem Freund und Gönner ein - zum zweiten Male nach dem August 1848 und unter gänzlich anderen Umständen, als er es sich selbst vorstellte und wünschte. Wagner schreibt: »... Es fiel schwer, den Freund damit vertraut zu machen, daß ich nicht ganz regelmäßiger Weise als königlicher Kapellmeister mich aus Dresden entfernt hatte . ...«

Nach allgemeiner Verwirrung setzt Liszt sich sofort mit Karoline Fürstin von Wittgenstein und über sie mit Großfürstin Maria Pawlowna in Verbindung. Zur genauen zeitlichen Abfolge von Kost und Logis während Wagners Aufenthalt gibt es unterschiedliche Darstellungen. Sowohl der »Erbprinz« als auch die »Altenburg« können als authentisch angesehen werden. Eine eindeutige Weisung lautet: »Solange der von Dresden her zu erwartende Steckbrief nicht eintrifft, soll Wagner sich auf der Altenburg bei der Fürstin Wittgenstein verborgen halten«. Besagter und bereits zitierter Steckbrief war nach der Ausfertigung am 16. Mai 1849 erst Tage danach im »Dresdner Journal« vom 19. Mai veröffentlicht worden, am 20. Mai gelangt er nach Weimar und wird Wagner später nach Magdala nachgesandt. Die Lage spitzt sich für Wagner bedrohlich zu. Trotzdem wohnt er heimlich einer Probe zu seinem »Tannhäuser« bei und begleitet Liszt auf einer weiter führenden Reise bis Eisenach, von wo er am 18. Mai zurückkehrt - ein aufgrund seiner Situation abenteuerliches Unternehmen. Am Abend des 18. Mai ist er aus Sicherheitsgründen Gast bei der Familie des Weimarer Schauspielers und Regisseurs Eduard Genast. Genast fragt beim Staats-(Außen- und Justiz-)minister Watzdorf über die Aussichten für einen am Dresdner Aufstand Beteiligten nach. Die eindeutige Antwort lautet: »Ich würde ihn, sobald der Steckbrief einläuft, auf der Stelle verhaften lassen; und wenn sich dieser Mann im weimarischen Land befinden sollte, so raten Sie ihm, es so schnell als möglich zu verlassen.« Daraufhin geleiten ihn seine Freunde eiligst von Weimar nach Niederzimmern, wo er die Nacht vom 18. auf den 19. Mai bei dem Organisten Bruno Frankenstein zubringt. In den Morgenstunden des 19. Mai schließlich gelangt Wagner als »Professor Werther aus Berlin« und Besitzer von 60 Talern über Oberweimar und Mellingen nach Magdala in das Gutshaus des Ökonomierates und Kammergutspächters Wernsdorf.

Der Theaterzettel zur Lohengrin-Uraufführung in Weimar am 28. August 1850
Der Theaterzettel zur Lohengrin-Uraufführung in Weimar am 28. August 1850

Vermittler dieses für die Stadt heute durchaus bedeutsamen Aufenthaltes war Wernsdorfs Freund, der demokratisch gesinnte Jenaer Hofrat Professor Dr. Siebert. Wernsdorf berichtet über seine Begegnung mit Wagner: » ... Es war um die Mittagsstunde des 19. Mai 1849, als ein Einspänner aus dem benachbarten Weimar auf meinen Hof fuhr. Aus dem Wagen stieg ein Herr in den dreißiger Jahren mittlerer Größe, bekleidet mit einem leichten braunen Rocke, dem ein graues Reisetäschchen an breitem, grünem Bande umhing. Der Herr überbrachte mir, in mein Zimmer eingetreten, nach kurzer Begrüßung einen Brief, der die wenigen, in flüchtiger Eile geschriebenen Worte enthielt: ›Sie erhalten hierbei den Herrn Professor Werther aus Berlin und verfahren mit ihm nach Abrede‹ . ... Als ich meinen Gast auf sein Zimmer geführt hatte, wandte sich derselbe rasch zu mir und sagte: ›Ich kann wohl offen gegen Sie sein? Ich bin der Kapellmeister Wagner aus Dresden. Denken Sie sich, heute soll in Weimar mein Tannhäuser gegeben werden, da muß ich Weimar den Rücken kehren und mich vor der Polizei verstecken‹. Ich versicherte meinem werten Gaste, er sei mir unter jedem Namen willkommen und daß ich unter allen Umständen ängstlich dafür Sorge tragen würde, damit er nicht von der Polizei belästigt würde.« Wagner selbst schreibt am 20. Mai an seine Frau Minna: » ... Nur eine, eine Sorge kenne ich jetzt noch, das ist die Sorge um meine geliebte Frau! ... In einer Stunde verlasse ich Weimar, weil ich hier zu öffentlich bekannt und aufgetreten bin: auf einem Gute, 2 Stunden von Weimar, werde ich zunächst unter dem Namen eines Professors Werder aus Berlin verweilen ... hier sehe ich, was es heißt, Freunde zu haben! Liszt ist ein großartiger Mensch, davon überzeuge ich mich immer mehr.« Wagner besucht mit Wernsdorf unerkannt eine politische Versammlung in Magdala, er unternimmt Spaziergänge in die nähere Umgebung. Am 22. Mai, seinem 36. Geburtstag, trifft seine Frau in Magdala ein. Wernsdorf berichtet: » ... Als ich diesem in seinem Zimmer zurief ›Stehen Sie auf, lieber Herr Wagner! Die Frau Kapellmeister ist soeben angekommen!‹ fuhr er ... auf und rief sehr unwillig und überlaut: ›Was? Das Weib?‹ Er sprang mit einem Satze aus dem Bette. ›Gott! heute ist ja mein Geburtstag!‹ Die Begrüßung der beiden Gatten war ziemlich kühl. Doch saßen wir, allerhand plaudernd, beim schnell bereiteten Tee, bis um die dritte Morgenstunde beisammen.« Am 23. Mai verläßt Wagners Frau Magdala wieder, Wagner selbst macht sich einen Tag später auf den Weg nach Jena. Wernsdorf begleitet ihn bis zum Walde über der Stadt: » ... Hier gab ich ihm einen zuverlässigen Führer und verabschiedete mich von ihm, mit dem Wunsche, daß er auf seiner Weiterreise alle Fährlichkeiten glücklich überstehen möge.« Wagners Fluchtwege in und aus Thüringen finden ihren Abschluss unter dem Namen Dr. Widmann, mit Unterstützung Dr. Sieberts und des Jenaer Literaturprofessors Wolff, wiederum ermöglicht durch Liszts hilfreiche Einflussnahme und dessen letztes persönliches Geleit in Jena. Der weitere Weg Wagners ist bekannt.

Ein Musikerschicksal? Das Schicksal eines Demokraten? Keines von beiden oder beides? Bei Wagner schwer zu beantworten, obwohl immer wieder interessant und aufregend. Vielleicht führt ein Hinweis zum Schaffen, zur Musik mit zeitlichem Abstand zum Jahr 1849 am leichtesten und besten zwar nicht zu des Rätsels Lösung, aber zu einer allgemeingültigen und historisch fundierten Aussage: Am 28. August 1850 findet unter Liszts Leitung im Weimarer Hoftheater die denkwürdige Uraufführung des »Lohengrin« statt, denkwürdig auch, weil sie zu Goethes Geburtstag und gleichzeitig mit der Einweihung des Herder-Denkmals stattfand.

Bemerkung
Als der Autor dieses Beitrages, Eberhard Neumeyer, und Michael von Hintzenstern gemeinsam 1992 die Stadt- und Dorfkirchenmusiken mit Idee, Namen, Marke und Konzeption als Konzertreihe für den Landkreis aus der Taufe hoben, war nicht vorherzusehen, dass in einer 22. Folge einmal der Aufenthalt Richard Wagners 1849 im Weimarer Land aus Jubiläumsanlass Gegenstand der Konzertreihe sein würde.

  

LITERATUR
Wenn Wagner ein Tagebuch geführt hätte, Budapest 1969
Richard Wagner: Musikleben, Leipzig 1958
Aus: Bayreuther Bund, 1935, Folge 9
Wilhelm Nicolai: Richard Wagner, Eisenach 1928

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Teaserfoto: wikipedia - gemeinfrei
Fotos: privat

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