Weimar-Lese

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Magisches Lesevergnügen bietet Ingrid Annels Jugendroman, der den Leser auf eine Zeitreise ins Mittelalter führt.

 

Paul Schneider

Paul Schneider

Christoph Werner

Deutscher Textenglish

Eine dünne Schneedecke liegt über dem Appellplatz. Der Wind weht scharf von Nord-Ost und wirbelt die Flocken auf. Der Himmel hängt tief und grau über mir. Ich stehe hier seit einer Stunde auf dem Platz, mit dem Rücken zum Bunker. Meine Füße werden kalt, und ich beginne zu frieren, trotz meiner warmen Winterkleidung, Handschuhe, Mütze und gefütterten Stiefel.
Eingang Buchenwald
Eingang Buchenwald
Ich ziehe meinen Mantel aus, meinen Pullover, meine Handschuhe und stehe jetzt im Hemd. Der Wind bläst durch bis auf die Haut. Es ist früh um 8 Uhr und einige Grade unter Null. Zu Hause habe ich gut gefrühstückt und merke noch die wohltuende Wärme des heißen Tees im Bauch, die sich jetzt aber schnell verflüchtigt. Ich beginne zu zittern, nach einer halben Stunde im Hemd, und meine Hände beginnen abzusterben. Ich will sie nicht in die Hosentaschen stecken.

Wie lange standen die Häftlinge hier in ihrer dünnen Kleidung? Bis auf die Knochen abgemagert, ohne Hoffnung auf Wärme, viele nur mit der Aussicht, im Steinbruch zu arbeiten? Wieder und wieder wurde gezählt, stunden-, manchmal tagelang, bis alle Zahlen stimmten. Einige fielen um und wurden von ihren Kameraden aufgehoben und gestützt, damit sie nicht geschlagen wurden.

Ich gebe auf, raffe meine Sachen vom Boden und flüchte in den warmen Raum des Wachdienstes am Eingangstor. Der Mann bietet mir aus seiner Thermoskanne eine heiße Tasse Kaffee an, die ich mit zitternder Hand zum Mund führe.

Nein, man kann es nicht nachfühlen. Nein, man bekommt nicht einmal eine geringe Ahnung, wie es gewesen sein muss im Konzentrationslager Buchenwald, als Häftling.

Auf der linken Seite des Eingangs, von außen gesehen, befindet sich der Bunker, in dem Ungezählte und Ungenannte zu Tode gequält wurden. Von einigen kennt man die Namen und Leiden, zum Beispiel von Paul Schneider.

Paul Schneider. So ein gewöhnlicher Name, inzwischen so ein außergewöhnlicher Klang.

In einem meiner Streifzüge durch Weimar, meine Leserinnen und Leser, habe ich geschrieben, dass einem in Weimar die Geschichte schön und furchtbar begegnen kann. Und nun füge ich hinzu, dass einem in dem Furchtbaren ein solch mächtiges Licht der Selbstaufgabe um der Nächsten willen begegnen kann, dass man trotz allem den Glauben an den Menschen und seine Bestimmung nicht zu verlieren braucht.

Buchenwald-Bunker
Buchenwald-Bunker
Paul Schneider ist im „Bunker", dem Arresttrakt des Konzentrationslagers Buchenwald, viele Monate von dem Bunkerchef Martin Sommer geschlagen und fast zu Tode gequält worden, weil Paul Schneider glaubte, in der Nachfolge Christi bis zum Äußersten, bis zur Selbstaufopferung gehen zu müssen, um seinem Gott zu gehorchen. Und Gott zu gehorchen, seinem Willen unbedingt zu folgen, hieß für ihn, seinen Mitgefangenen und Mitgequälten Trost und Hoffnung zu geben. Zeugen sagten, dass das Beispiel und die Worte Paul Schneiders sie aufgerichtet und ihnen geholfen hätten, ihre Leiden zu ertragen. Häftlinge auf dem Appellplatz, die seine Worte hören konnten, die er ihnen aus seiner Arrestzelle im Bunker durch die Gitterstäbe zurief, bezeugten dasselbe. Es waren immer nur kurze Sätze, die Schneider rufen konnte. Dann hatte der SS-Sadist Sommer die Zellentür erreicht und den Häftling unter Schlägen vom Fenster heruntergeholt und zu Boden gestreckt.

Nur Wenigen ist es gegeben, diese resignatio ad infernum, die vollständige Hingabe und damit unmittelbare Gotteserfahrung zu versuchen. Paul Schneider war einer dieser Wenigen.

Für ihn war die Nachfolge Christi Dienst am Nächsten, der auch im Konzentrationslager keine Einschränkungen erlaubte und keinen Raum für persönliche Rücksicht ließ. Das erfüllt auch jene, die keine Christen sind, mit hoher Achtung und Demut.

Zelle von Paul Schneider
Zelle von Paul Schneider
Es ist gut, dass die Pfarrer-Paul-Schneider-Gesellschaft, die ihren Sitz in Weimar, Hoffmann-von-Fallersleben-Str. 4 hat, sich dem Bemühen gegen das Vergessen widmet und uns das Beispiel dieses tapferen Menschenbruders erhält.

Paul Schneider wurde am 18. Juli 1939 durch eine Injektion auf der Krankenstation des Konzentrationslagers ermordet.

Es gibt in Weimar seit 1954 auch eine Paul-Schneider-Straße und seit 1988 das Evangelische Gemeindezentrum „ Paul Schneider" in Weimar-West.


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Fotos: Christoph Werner

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