Weimar-Lese

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Sesenheimer Liebeslyrik

Florian Russi

Während seines Studiums in Straßburg lernte Johann Wolfgang von Goethe die Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion kennen. Die beiden verliebten sich ineinander und Goethe wurde durch Friederike zu wundervollen Gedichten angeregt.

Einige von ihnen (Heideröslein, Mailied, Willkommen und Abschied u. a.) zählen zu seinen besten und beliebtesten überhaupt. In diesem Heft sind sie vorgestellt und mit Bildern und Erläuterungen angereichert.

Der nächtliche Besucher

Der nächtliche Besucher

Viele unheimliche und unerklärliche Spukgeschichten ranken sich um die Stadt Weimar. Nicht nur ein spukender Goethe oder eine überirdisch wirkende Ilmnixe trieben in der Stadt der Dichter und Denker seit jeher ihr Unwesen. Auch Kobolde und Poltergeister konnten schon manchmal in der Dämmerung oder um Mitternacht gesichtet werden. Eine phantastische Geschichte erzählt von einer zutiefst verängstigten, aber klugen Frau, die einst eine Begegnung der unheimlichen Art hatte. Überliefert wurde die Geschichte durch Paul und Ellen Mitzschke in ihrer Publikation „Sagenschatz der Stadt Weimar und ihrer Umgegend“ von 1904. Nun ist es aber an der Zeit, der sagenreichen Stadt Weimar einen Besuch abzustatten und in die Welt ihrer Gruselgeschichten abzutauchen.

Carolin Eberhardt

In längst vergangenen Zeiten lebte einmal eine ehrbare Witwe als Erzieherin in einem Gasthof zu Weimar. Um welches Gebäude es sich dabei handelte, ist leider nicht überliefert. Doch die Weimarer Sage berichtet, dass diese Dame eines Nachts plötzlich aus ihrem Schlaf erwachte und zu ihrem Entsetzen vor ihrem Bett einen Mann in veralteter, anscheinend geistlicher, Tracht erblickte. Die Erscheinung sprach nun zu ihr: „Geh! Begebe dich geschwind in Tucks Garten und du wirst dort dein Glück finden.“ Erschrocken und durch die Geschehnisse sprachlos, war die Dame nicht in der Lage, eine Antwort zu geben. Wütend über das Schweigen der Frau verschwand der Geist mit der erneuten Mahnung, ihm zu folgen und versprach, wiederzukommen. Und so erschien der Poltergeist auch in der folgenden Nacht wieder, obwohl die Tür zur Schlafkammer verriegelt war. Wieder sprach er die bereits gehörten Worte, wieder antwortete die verängstigte Witwe nicht.

Nun verging mehrere Wochen lang keine Nacht, in der die Dame nicht von dem nächtlichen Besucher heimgesucht wurde. Und in jeder einzelnen Nacht sprach er immer wieder die gleichen Worte: sie solle ihm in Tucks Garten folgen, dort werde sie ihr Glück finden. Und immer wieder schwieg die Heimgesuchte zu seinen Aufforderungen. Eines Nachts allerdings nahm die Frau all ihren Mut zusammen und fragte den Geist mit zittriger, leiser Stimme, ob dieser ein guter Geselle sei. Daraufhin erhielt sie eine bejahende Antwort. Doch war ihr die ganze Situation nicht geheuer, sie zweifelte sogar schon an sich selbst. Sah sie diesen Geist wirklich in jeder Nacht oder bildete sie sich diesen nur ein? Um sich darüber Gewissheit zu verschaffen und auch aus Angst vor der Wiederkehr des Gespenstes nahm sich die Frau an dem darauffolgenden Abend eine Dienstmagd mit in ihr Gemach. Beide saßen nun dort und wachten die halbe Nacht. Als die Witwe schon beinah meinte, der Geist würde sie in dieser Nacht verschonen, da die gewöhnliche Zeit seines Auftauchens bereits vergangen war, tauchte er wiederum auf und redete zu ihr wie in jeder anderen Nacht zuvor. Und wie eh und je verschwand er ebenso schnell wie er aufgetaucht war. Als nun die Frau ihre Begleiterin fragte, ob sie den Geist gesehen und gehört habe, stellte sie fest, dass die Dienstmagd eingeschlafen war. Und auch leider nach dem Erwachen konnte diese sich an das Geistertreiben nicht erinnern. Denn bereits schon beim Erscheinen des unheimlichen Besuchers war sie eingeschlafen.

Die wiederholten Heimsuchungen durch den Geist setzten der armen Witwe mehr und mehr zu. Sie wurde schwermütig und kränklich. Und so sann sie endlich nach einer Möglichkeit, den Geist loszuwerden. Also wandte sie sich eines Tages mit ihrem Problem an ihren Beichtvater. Dieser riet ihr, sie solle den Geist in der folgenden Nacht fragen, ob sie ihren Beichtvater mitbringen dürfe. Als sie diesen Ratschlag nun umsetzte, verschwand die Spukerscheinung in geistlicher Tracht ohne ein weiteres Wort zu sagen und ward seit diesem Zeitpunkt nie wieder gesehen.

Erklärung: 

Tucks Garten lag im Park an der Ilm zwischen Weimar und Oberweimar, wo später noch eine Brücke „Tucks Brücke“ genannt wurde.

 

*****

Textquelle: 

Orignalversion entnommen aus: Mitzschke, Ellen und Paul: Sagenschatz der Stadt Weimar und ihrer Umgegend, 1904, S. 28f; neu erzählt von Carolin Eberhardt.

 

Bildquelle:

Vorschaubild: Dr. Jayne's Expectorant, ca. 1900, Urheber: Miami U. Libraries - Digital Collections via Wikimedia Commons Gemeinfrei.

Geisterhafter Schatten, 2017, Urheber: mohamed_hassan via Pixabay CCO.

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