Manch Merkwürdigkeit findet sich beim Durchstöbern der Weimarer Sagen. Viele handeln von übernatürlichen Phänomenen, einige geben Auskunft über das Brauchtum der Weimarer Bevölkerung. Wieder andere beschäftigen sich mit Todesomen und –träumen. Diese hier handelt von einem Herzog, welcher für sein ungebührliches Benehmen sogar nach seinem Tod bestraft wurde. Ob es sich bei dem grausamen Fürsten um Ernst August I. handelt ist nicht gänzlich nachzuweisen. Der Volksmund bezeichnet ihn in der Überlieferung nur fortwährend als „bösen Ernst“.
Vor langer Zeit regierte in der Stadt Weimar ein rücksichtsloser und schroffer Fürst. Ebenso unhöflich und rücksichtslos verhielt sich regelmäßig dessen Hund, denn an Markttagen suchte er die Stände der Fleischer heim und raubte ihnen das zu verkaufende Fleisch. Da die Rachsucht des Fürsten unter der Bevölkerung nur zu gut bekannt war, wagte es sich lange keiner der Händler gegen das räuberische Tier etwas zu unternehmen, bis sich eines Tages ein Meister ein Herz fasste, und als der Hund wieder an seinen Stand herantrat, sagte er: „Wenn du mir wiederkommst, schlage ich dir die Beine entzwei.“ Die Worte des wütenden Händlers konnten das Tier zum nächsten Markttage aber nicht davon abhalten, wieder an den Stand des Meisters heranzutreten. Und so warf dieser in Wut ein Beil nach dem Hund. Da der Herzog das Geschehen von einem Schlossfenster aus beobachtete, war er erzürnt, ließ den Meister verhaften und verhängte auch sogleich, ohne eine richterliche Verhandlung, den Tod durch Galgen über ihm. Am Tage der Hinrichtung wollte der Herzog nun wieder am Schlossfenster Platz nehmen, um die Durchführung der Todesstrafe zuzusehen. Doch sobald er sich an das Fenster gestellt hatte, brach er tot in sich zusammen, als hätte ihn der Schlag getroffen. Nach seinem plötzlichen Ableben wurde seine Leiche mit einem Kopfkissen, unter dem sich ein Säckchen Gold befand, in der Schlossgruft zur ewigen Ruhe gelegt.
Nach dem Brand des Schlosses 1774 sollten die Särge aus dem eingestürzten Gewölbe der Schlossgruft in ein anderes zum Gebäude gehörendes Gewölbe verbracht werden. Doch sowohl zu diesem Zeitpunkt als auch im Jahr 1824, als die Särge in der neuen Fürstengruft auf dem Friedhof ihre neue Ruhe finden sollten, gelang es keinem der Arbeiter den Sarg des grausamen Fürsten auch nur ein Stück von der Stelle zu bewegen. Einige von ihnen berichteten von feurigen Augen über dem Sarg oder von anderen schrecklichen Spukgeschichten. Da sich keiner mehr zu helfen wusste, blieb des Weiteren nichts anderes übrig, als den Sarg an seiner ursprünglichen Stelle einzumauern. Noch heute soll er laut der Überlieferung an eben dieser Stelle verborgen sein. Eine andere Version der Sage berichtet darüber, dass der Sarg zwar zunächst in die Fürstengruft transportiert werden konnte, er aber, wie von Geisterhand, plötzlich wieder an seiner früheren Stelle im Schloss aufgetaucht wäre.
*****
Textquelle:
In Anlehnung an: Mitzschke, Ellen und Paul: Der Sagenschatz der Stadt Weimar und ihrer Umgegend, Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1904; mündlich überliefert.
Bildquelle:
Vorschaubild: Marktplatz mit Lucas-Cranach-Haus, 1900, Quelle: Ansichtskarte via Wikimedia Commons Gemeinfrei.