Die Geschichte, über ein kleines Pony, dass sage-und-schreibe neun Jungen gleichzeitig auf seinem Rücken tragen konnte, stammt aus der Feder des Weimarer Kinder- und Jugendbuchautors Heinrich Jäde. Veröffentlicht wurde es 1878 in „Der Kinder Wundergarten: Märchen aus aller Welt“, herausgegeben von Friedrich Hoffmann. Doch so wundersam sich die Begebenheit auch anhören mag, natürlich steckt hinter dem Kunststück des Pferdes eine große Gefahr.
Nicht weit von einem großen Fluss, es wird vielleicht die Saale gewesen sein, saßen einst neun fröhliche Jungen und erzählten sich Märchen. Zuvor hatten Sie wild getobt, sich gegenseitig gejagt und wollten sich nun von ihrem Spiel ausruhen.
Als einer der Jungen gerade eine Geschichte erzählen wollte, rief ein anderer: „Seht, da läuft ja ein kleines Pony auf der Wiese!“ Freudig sprangen die Jungen auf und liefen in die Richtung des Tieres. Und da das Pony so zutraulich war, so spielten die Kinder mit ihm fangen, indem sie es neckten und es zärtlich knufften, dann aber schnell vor ihm wegrannten. Das Pferdchen nahm das Spiel auch gleich auf und verfolgte die Jungen. So spielten alle eine ganze Weile. Dann stellte sich das Pony vor die Jungen auf, als wollte es sie dazu einladen, sich auf seinen Rücken zu setzen. Der Mutigste unter den Jungen machte auch gleich den Versuch und saß kurze Zeit später auf dem Pferderücken. Was war das auch für ein Spaß, als das Pony anfing zu galoppieren, den Rücken krumm machte, ganz so wie bei einem Rodeo und freudig mit seinem Reiter im Kreis umhersprang. Jedes Mal noch höher und weiter, als das vorherige Mal. Als das die anderen Jungen sahen, wollten sie auch ihr Glück wagen. Das kluge Pferdchen schien das zu bemerken, denn jedes Mal, wenn es eine Runde hüpfend beendet hatte, blieb es vor der Kindergruppe stehen und jedes Mal setzte sich der nächste Junge auf den Pferderücken. Und so dauerte es nicht lange, da saß die ganze Schar auf dem Rücken des Pferdchens. Aber wie konnte das nur zugehen? Wie konnten denn neun Jungen auf einem Ponyrücken Platz finden? Die Kinder kümmerte es nicht. Viel zu sehr erfreute sie dieses Spiel mit dem unbekannten Tier. Und so hatten sie gar nicht bemerkt, dass der Rücken mit jedem neuen Reiter wie von Zauberhand gewachsen war. Sie lachten und scherzten und brüllten so laut, dass sie das alte Mütterchen am Stock beinah gar nicht kommen sahen. Und sie hörten auch nicht, als das kleine Lottchen, welches mit dem Mütterlein auf die Wiese ging, laut in die Hände klatschte und rief: „Herr Jesus, das lange Pferd!“ Kaum hatte das Mädchen ausgesprochen da war – husch – das Pferd verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt, wie in Luft aufgelöst, als wäre es nie da gewesen. Die Knaben purzelten daraufhin durcheinander in das Gras und rieben sich ihre schmerzenden Hintern, auf die sie unsanft gefallen waren.
Aus dem Fluss aber war ein lautes und gespenstisches Wiehern zu hören, ebenso ein lautes Stampfen, das man meinen konnte, es würde ein Donnern eines Gewitters herannahen. Das Stampfen war so gewaltig, dass das Wasser in großen Wellen über die Ufer trat.
Das Mütterchen trat an die Jungen heran und sagte: „Ihr dummen Knaben! Habt ihr denn nicht gesehen, dass das kein Pony, sondern ein Nix war? Wie konntet ihr euch diesem unbekannten Tier einfach so anvertrauen. Hätte Lottchen den Namen Jesus nicht laut ausgesprochen, so hätte euch der Nix in sein Wasserreich mitgenommen.“
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Vorschaubild: A_naturalist's_sketch_book_(Plate_54)_BHL46158003, 1919, Urheber: Archibald Thorburn via Wikimedia Commons
Neu erzählt von Carolin Eberhardt.