Weimar-Lese

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Sesenheimer Liebeslyrik

Florian Russi

Während seines Studiums in Straßburg lernte Johann Wolfgang von Goethe die Sesenheimer Pfarrerstochter Friederike Brion kennen. Die beiden verliebten sich ineinander und Goethe wurde durch Friederike zu wundervollen Gedichten angeregt.

Einige von ihnen (Heideröslein, Mailied, Willkommen und Abschied u. a.) zählen zu seinen besten und beliebtesten überhaupt. In diesem Heft sind sie vorgestellt und mit Bildern und Erläuterungen angereichert.

Goethisch fluchen

Goethisch fluchen

Bernd Legler

Will sich ein Chemnitzer an der WeimarLese beteiligen, tut er gewiss gut daran, sich Goethe und der Stadt auf einem möglichst wenig ausgetretenen Pfad zu nähern und trotzdem etwas Goethisches als Gastgeschenk in Chemnitzer Verpackung mitzunehmen.

Mit den Jahren ertappe ich mich immer öfter dabei, mich weniger an den Werken des Meisters zu erwärmen und stattdessen mehr seine Reaktionen auf die Umwelt zu erkunden und die Personen seiner unmittelbaren Umgebung näher kennen zu lernen. Dabei rückte der Graezist Friedrich Wilhelm Riemer ins Blickfeld. Er las für Goethe Korrektur und bereicherte die Gesprächsrunden mit griechischen Zitaten. Nach seinen Worten waren es „manch Gnome oder sonst ein Apophthegma".

Leider lässt es Riemer in seinen „Mitteilungen über Goethe" mit dieser einen Kostprobe bewenden:

pánta gélos, kaì pánta kónis, kaì pánta tò midén.
pánta gár ex alógon ésti tá geinómena.

Alles nur Poss´, und alles nur Dreck, und alles ein Garnichts:
Alles aus Unvernunft ist ja nur was da geschieht.

Dafür schwärmt er umso mehr von der Wirkung dieses Distichons aus der „Anthologia Graeca", die es auf seinen Arbeitgeber hatte: „Dieses gefiel ihm so besonders, dass er bei Expec-torationen über den Lauf der Welt darauf anzuspielen und mit den ersten Sylben „pánta gélos" nur anzuschlagen liebte wie ein Stichwort." Auch dazu erfahren wir von Riemer nichts Konkretes. Einen denkbar geeigneten Anlass, bei dem Goethe darauf zurückgegriffen haben könnte, liefert nur Riemers Bericht über den 16. Mai 1807, als Goethe bei dem Besuch des Schlachtfeldes von Jena durch die „politica und das Hundegebell" verstimmt gewesen sei.

Riemer muss allein schon deswegen von der harschen Kritik des bedeutenden Goethe-Freundes Romain Rolland an Goethes männlichem Freundeskreis, den er mit „Handwerkergilde" tituliert, ausgenommen werden, es sei denn er gehört zu „wenigen Ausnahmen" von denen Romain Rolland in „Goethe und Beethoven" spricht: „Die nähere Umgebung Goethes war seit Schillers Tod mit wenigen Ausnahmen von einer erstaunlichen Kümmerlichkeit: sie bestand aus wohlgenährten Provinzlern mit engem Gesichtskreis, die um zwanzig Jahre hinter ihrer Zeit zurück waren. Seine jugendlichen Besucher waren mehr als einmal entsetzt darüber."

Was Wunder, wenn man sich in Chemnitz, das sich seit einiger Zeit mit dem Epitheton „Stadt der Moderne" schmückt, gegenläufig auf den Weg macht und eine Stätte sucht, in der es bis 1966 ganz natürlich war, in der Kindheit und Jugend Latein und Griechisch so wie Englisch und Französisch, Mathematik und Physik Erdkunde und Geschichte oder Biologie und Chemie oder auch Kunsterziehung und Musik gleichberechtigt zu lernen.

Eine alte Fährte, ausgelegt in der Nachwendezeit von einer Russisch-Lehrerin des Gymnasiums „Hohe Straße", heute „Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium", sollte zu einer altsprachlichen Lehrerbibliothek in diesem Hause führen. Und tatsächlich befindet sich im Dachgeschoss des altehrwürdigen Gebäudes ein Traditionszimmer.

Neben Urkunden und Büchern mit Namenslisten von Lehrern und Schülern sowie einigen schulischen Erinnerungsstücken, darunter zwei alte Schülermützen, sind auch die Reste einer fast 100 Jahre alten neu- und altsprachlichen Lehrerbibliothek zu sehen. Sie befinden sich in modernen abschließbaren Glasvitrinen, die beim Öffnen und Schließen dem Besucher einige Fingerfertigkeit abverlangen.

Was hat die Zeitläufe überdauert? Das Wenige lässt auf viel Verlorengegangenes schließen. Welchem Altphilologen von damals wollte man es heute ernstlich verübeln, nach Schulreformen, Umstürzen und Zusammenbrüchen, als es mit seinen Fächern meist bergab ging, noch ein paar lieb gewonnene Texte zur Erinnerung für die eigne Lehrerbibliothek gerettet zu haben. Jedenfalls genießt er höheres Ansehen als die Vandalen, die die Lehrerbibliotheken humanistischer Gymnasien vom alt- und neusprachlichen Schrifttum reinigten.

An Griechischem verblieben: ein Deutsch-Griechisches Schulwörterbuch, ein Wörterbuch zu den Homerischen Gedichten, eine Chrestomathie aus Xenophon, Lesehefte mit Demosthenes' Neun Philippischen Reden und der Rede für die Megalopoliten und Sophokles' König Ödipus. Stammen letztere Titel aus der Zeit vor oder um 1900, kommen die folgenden noch aus der Bundesrepublik in den 50er Jahren: eine Griechische Grammatik und ein Griechisches Lesebuch. Eine bibliophile Kostbarkeit stellt eine sechsbändige Plato-Ausgabe dar: aus der Reihe Scriptorum Classicorum Bibliotheca Oxoniensis, Platonis Opera, Oxford, Clarendon Press, Herausgeber Joannes Burnett, Merton College, 1905.

Auch an alten Lehrmaterialien zur lateinischen Sprache und Literatur fehlt es nicht. Die bedeutendsten Schulautoren des alten humanistischen Gymnasiums sind adäquat vertreten.

Erstaunliches fördert auch die Französisch-Vitrine zu Tage. Zwischen 1880 und 1910 gelang-ten die „Oeuvres de Racine (8 Bände), de Corneille (11 Bände), de Molière (13 Bände) und de La Fontaine (4 Bände)" von der Seine an die Chemnitz. Eine schwere Hypothek für unsere französische Sprachkultur.

Die Englisch-Vitrine ist kaum weniger spektakulär. Die obligate Shakespeare-Gesamtausgabe stammt aus der Zeit, als die Schreibweise noch Shakspeare war. Mit etwa 40 matt olivgrünen und blass weinroten Bänden englischer Klassiker aus Everyman's Library von J. M. Dent & Sons, London, erschienen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, wird der literarische Weg ins 20. Jahrhundert bereitet.

Viel Zeit zum Umschauen blieb im Traditionszimmer nicht. Dem Betrachter entging aber nicht das auf einem Tisch ausgelegte Gesamtwerk Stefan Heyms, des wohl prominentesten Schülers dieses Gymnasiums neben Karl Schmidt-Rottluff und Stephan Hermlin.

Nach einem Blick auf den alten Gingko-Baum, der das parkähnliche Gelände des Gymnasiums ziert, kommt der Sinn wieder auf Goethe. Beim steilen Abstieg von der Höhe des Kassbergs in das tiefer gelegene Stadtzentrum von Chemnitz, der „Stadt der Moderne", war ich mir sicher, dass der Genius Loci des Traditionszimmers nicht lange vor einem Fluch „pánta gélos..." zwischen den Zähnen schützen könne, wenn nicht wenigstens eine Arbeitsge-meinschaft Altgriechisch die Traditionen des Hauses pflegt.

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Literatur:
Die griechische Anthologie, Berlin und Weimar 1981
Friedrich Wilhelm Riemer: Mitteilungen über Goethe, Leipzig 1981
Romain Rolland: Goethe und Beethoven, Frankfurt und Leipzig 1999
Wikipedia: Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium

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