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Florian Russi

Einhorn-Geschichten

Die zwei schönsten Geschichten aus Florian Russis "Alids Traum" wurden für Kinder neu erzählt und farbig illustriert.

Ein Brief an Goethe aus dem 21. Jahrhundert.

Ein Brief an Goethe aus dem 21. Jahrhundert.

Ursula Krieger

Historisch-literarischer Spaziergang zu Goethe

Mein Weg führt mich in den Ilmpark - ob ich dem Herrn Geheimrat einen Besuch abstatte?
Herr Rat ist nicht im Garten, nicht im Hause ...
Verehrter Herr Geheimrat Goethe! Fast bin ich untröstlich, Sie nicht in Ihrem Domizile anzutreffen, begrüße Sie nichtsdestotrotz auf die herzlichste Weise mit meinem Brief aus der Heutezeit und erlaube mir, ein Weilchen in Ihrem Terrassengarten zu verbringen. Herwegs kam ich durch die Seifengasse - Sie wissen schon ... zuvor genoss ich mit Respekt vom Frauenplan aus den Blick auf Ihr Haus, das mancher, der nicht geladen war, wohl gerne von innen betrachtet hätte.
Innenhof des Goethehauses am Frauenplan
Innenhof des Goethehauses am Frauenplan

Eine Marienkapelle hat vormals am selbigen Platze gestanden. Überdies fand man vor einem Dutzend Jahren eben hier die Gebeine von mehreren Dahingegangenen aus dem 12. Jahrhundert. Und dies vor Ihrer Haustüre! Sie hätten wohl mehrfach täglich Ausschau gehalten, wie weit die Bemühungen der grabenden Forscher gediehen wären. Man weiß von Ihnen, Herr Geheimrat, dass Sie gern hinter jegliche Kulisse blickten ...

Stellen Sie sich nur vor, Verehrerinnen und Verehrer Ihrer Person müssen sich im Sommer zur Reisezeit anmelden, um einen Blick auf Ihren Wohnraum zu werfen. Diese erliegen wohl gar der Illusion, Ihnen vielleicht auf der Treppe oder in Christianes Stübchen leibhaftig begegnen zu können.

Im Übrigen: Man hat Ihr Anwesen um etliche Räume erweitert. Sie wissen selbst am besten, welch Fülle an Kunstwerken vielerlei Art Sie vereint hatten. Auch bewahrt man ein jegliches Zettelgen von Ihnen hübsch auf - jedweder Gedanke hat seine Wertschätzung erhalten. Was Sie wohl am meisten interessieren wird: Ihre Schriften sind wohlgeordnet und gesichert im Archive aufbewahrt, das nach Ihnen und Freund Schiller benannt ist.

Dies Gebäude neben der Ihnen bekannten Altenburg würde gewiss Ihr geologisches Interesse wecken, wurde es doch kurz nach Ihrem Ableben aus Berkaer Sandstein gebaut. Es thront über der dort recht träge fließenden Ilm, die ihren Weg weiter sucht nach Tiefurt, Ihnen bestens als Musenörtchen bekannt. Von hier aus kann man die Ilm begleiten, kommt mit einem Zweirade gut voran, passiert bisweilen wuchtige Sandsteinblöcke, geziert mit Sinnsprüchen - wohlredend aus Ihrer Feder! Hier wanderten Sie sicherlich vergnüglich von einem Stein zum anderen und bemerkten kaum, dass Sie schon in Kromsdorf im barocken Park mit den Steinbüsten und am Renaissanceschlosse angelangt wären. Dort fänden Sie auch die steinerne runde Plattform, die bei Ausgrabungen vor gut einem Jahrzehnt unter dem Denkmal für Ihren fürstlichen Freund Carl August entdeckt wurde.

Blick vom Schloss zur Musikschule und dem Carl-August-Denkmal
Blick vom Schloss zur Musikschule und dem Carl-August-Denkmal

Diese Fundamentsteine trugen einst den bemerkenswerten Wasserkunsttempel, der vor dem Grünen Schlosse aufragte und vom Französischen Garten umgeben war.

Aber zurück zum Frauenplan: Eingangs der Seifengasse, durch die oft Ihr beflügelter Schritt hallte, fand man vor Jahren noch das kleine Café mit Namen „Faustina", das bei Ihnen zweifelsohne spezielle Erinnerungen an Ihre Zeit in Rom wecken würde... In eben jenem Café konnte man an den Wänden - recht brav gemalt - Personen ausmachen, die Ihnen nur zu bekannt wären: ChristianeSekretär Eckermann, Frau von Heygendorff, auch Sie selbst natürlich ... zudem weitere Personen, die in Weimar mehr oder weniger fruchtbringend gewirkt haben. Von diesem Café findet man keinerlei Anzeichen mehr. Schweift man weiter durch die berühmte Gasse zum Hause Ihrer bisweilen so verehrten Frau von Stein, scheint es, als höre man das Gemunkel der Leute, die sich bis in die heutige Zeit den Kopf zerbrechen über Ihre Verknüpfung mit dieser intelligenten Dame.

 

Travertinsteindurchgang zur Ilm/Nadelöhr
Travertinsteindurchgang zur Ilm/Nadelöhr

In beweglichen Bildern versuchte man gar, Ihr Privatestes aufzuzeigen und der Nachwelt aus Ihrem Leben und Lieben Kunde zu geben. Ihre Werke für das Theater erhielten jenen Platz, den Sie sich erhofft hatten.

An Ihrer Unsterblichkeit wirkte zuförderst Ihr „Faust" wesentlich mit; selbst an Teil II wagte man sich mutig heran - strich der Länge wegen allerhand Passagen - Sie wären entsetzt - und erwartete vom Publikum ein andächtiges Durchhalten. 

Ihre Bedenken, die Verständlichkeit des 2.Teils betreffend, waren durchaus berechtigt. Nach wie vor wird geforscht, wird gedeutet und gedeutelt.

Dramatisch wie in Ihren Werken ging es auch in Ihrem Leben zu - wurden Sie doch Zeuge des tragischen Todes eines Fräulein von Lasberg, das sich aus verschmähter Liebe in den trüben Fluten der Ilm ertränkte, den „Werther" in seinem Beutel! Ihr Diener soll die Ärmste gefunden und in Ihr Gartenhaus getragen haben. Tief betroffen von diesem tragischen Geschehen veranlassten Sie, zum Andenken an dieses sensible Hoffräulein einen Durchgang aus Travertingestein zu errichten, dessen Stufen den Hang zur Ilm hinunter zu besagter Stelle führen.  

Pompejanische Bank am Parkeingang
Pompejanische Bank am Parkeingang
Im Blick des Steinschen Hauses sitzt die pompejanische Sandsteinbank, deren Halbrund durch Löwenbeine beschlossen ist. Dieser Nachbau ist Ihnen zu verdanken. Sie hatten im legendären Pompeji auf dem Originale verweilt und im Nachsinnen festgestellt, dass an jenem Orte die „schönste Katastrophe der Geschichte" stattgefunden habe. Von dieser Bank aus wandelt man in kurzer Zeit zur Naturbrücke und über den Fluss. Sie sollen als junger Mensch in diesen Fluten gebadet haben, gar geschwommen sein? Auch heißt es, ein vom Markte kommender Bauer habe Sie gar für eine Ilmnixe gehalten ...
Nun leuchtet bereits hell Ihr Gartenhaus herüber.

Verwundert hätten Sie vor mehr als einem Jahrzehnt innegehalten und Ihren Augen nicht getraut, hatte man doch in Sichtweite Ihres Gartenhauses akkurat Ihre Behausung samt allem Inventare nachgebildet! Sie würden zu träumen glauben! Einen Steinwurf vom Originale nur entfernt. Inwendig hätten Sie gar selbst nicht sagen können, in welchem Hause Sie wären, so exakt war alles gebildet in Form, Material und Größe. Gewiss würden Sie ernsthaft über den Zweck einer derartigen Unternehmung nachsinnen. Aber dies Gedoppel war beileibe ein Magnet, der von fern und aus der Nähe die Menschen lockte. Nun befindet sich in heutiger Zeit Ihr Zwillingshaus in Bad Sulza, ward akribisch abgebaut und genau dem Plane nach wieder aufgerichtet. Von Thermalbadbesuchern wird es bestaunt, auch beleben vielerlei Ausstellungen die Räume, die den Ihrigen im Weimarpark so identisch sind.

Hier im Parke, der im Übrigen Ihren Namen trägt, betummelt sich allerhand Menschenvolk: Spaziergänger, Zweiradfahrer, Schulklassen, Ballspieler, auch liegen Personen im Grase oder auf ausgebreiteten Tüchern, lesen, essen, schauen.

Eine Kutsche, wie aus Ihrer Zeit herübergefahren, bringt im Moment einige Ihrer Verehrerinnen an diese idyllische Stelle und - was Ihnen sehr gefiele - der Kutscher ist in der Ihrigen damaligen Mode gekleidet und lüftet grüßend seinen Zylinder. Nebenbei bemerkt: Es gibt auch Kutscherinnen, was Sie sich schlechterdings wohl kaum vorstellen können. Als ich durch das weiße Gartentor geschlüpft und die wenigen Sandsteinstufen zum Hause hinauf gegangen war, stand ich sogleich vor Ihrem Hauseingang.

Er wird belebt und schönstens geschmückt durch den großen Stern, der sich bildet durch die gelben und rötlichen Flusskiesel in der grauen Pflasterung. Am runden Sandsteintische und den klassizistischen Bänken lasse ich mich nieder. Ein Metallschild an der Lehne weist diese Bank als von einer heutigen Dame als gestiftet aus. Sie sehen, Verehrerinnen gibt es noch immer.

Einzeln oder in schwärmerischen Gruppen huldigen diese Ihrer Person, lesen gar aus Ihren Liebesbriefen vor, gerade so, als wären die schmeichelhaften Zeilen an jene selbst gerichtet. Auch ein vorbei schlendernder Herr seufzte soeben ein „Ach!" und bemerkte, welch schönes Fleckchen Erde dies sei; auch schiene ihm fast die Zeit seit damals stehen geblieben ...


Ihr Garten wird noch heute durchzogen von den Pfaden, die Sie sich erdachten. Durch Stufen verbunden, erobern sich diese Wege den Hang und gestatten eine wunderbare Aussicht. So findet man auch jene Stelle, die - durch eine Steintafel besonders hervorgehoben - Charlottens Lieblingsplatz erkennen lässt; damals allerdings noch durch den Stein des guten Glücks gekrönt, der heute einen anderen Platz im Garten gefunden hat. Von hier aus erkennt man flusswärts am Hügel gegenüber die helle Statue Shakespeares, aufgestellt unterhalb der künstlichen Ruine. Unweit davon erahnt man das Ihnen bekannte Tempelherrenhaus, in dem vor hundert Jahren ein Bauhausmeister sein Atelier hatte. Ob Sie gern mit ihm geplaudert hätten?

Kapitelle am Tempelherrenhaus
Kapitelle am Tempelherrenhaus

Längst ist das Gebäude eine echte Ruine, denn Krieg, Herr Geheimrat, hat es auch nach Ihrer Zeit gegeben. In solch grausige Zeit fällt das Abholzen einer gewissen Eiche auf dem Ettersberge. Man nannte sie nach Ihnen „Goethe-Eiche", da man bestens wusste, dass Sie dort häufig mit Sekretär Eckermann weilten. Jene Eiche stand noch zu einer menschenverachtenden Zeit in einem Menschen vernichtenden Lager, welches Sie nicht in der Lage wären sich vorzustellen.

Dort wurde der Baum vom Blitz getroffen, dann umgeschlagen. Ein Stück des Holzes Ihrer Eiche wurde zum „letzten Gesicht" eines Häftlings geschnitzt, dessen qualvolle Züge sich ins Holz graben. Ein Künstler, auch seiner Freiheit beraubt, fertigte diese Plastik.

Heute noch steht der Stumpf dieses Baumes und wird von Besuchern jener Stätte, die man zum Gedenken errichtet hatte, mit Blumen und kleinen Steinen geschmückt.

Von dieser Stelle aus führt ein Pfad durch den Wald bis nach Ettersburg zum Schlosse, das Sie bestens kennen. Man nennt diesen Weg durch den Wald heute „Zeitschneise" und verbindet auf diese Weise das nur durch die Zeit getrennte Gegensätzliche, das sich nah beieinander befand.

Am Südhang des Berges genossen Sie gewiss den weiten Blick über das ausgedehnte Tal bis Gelmeroda und den Hexenberg hinüber, auf dem 1673 die alte Glaßern verbrannt wurde, da sie ein Mädchen verhext habe. Kannten Sie wohl diese Geschichte? Ob Sie Ihren Blick auch auf die Wüstungen Großroda und Kleinroda rechts und links der heutigen Ettersburger Straße schweifen ließen, ist nicht mehr zu ermitteln.

Allerdings soll Ihr Dr. Faust in Roda bei Weimar geboren sein ... und mich würde sehr interessieren, ob Sie in dieser Angelegenheit einst Nachforschungen betrieben haben. Eckermann wussten Sie zu erzählen, dass einstmals ein Binnenmeer die weite Weimarer Mulde füllte und die Möwe kreiste ... So konnte ihr Interesse an Fossilien durch den Kalk des Berges genügend Nahrung finden - sammelten Sie doch auch Gesteine und gar archäologische Objekte, die vom Bärenhügel auf dem Kleinen Ettersberge stammten und bei Führungen für interessierte Menschen heutzutage noch Erwähnung finden.

Blick vom Römischen Haus zum Gartenhaus
Blick vom Römischen Haus zum Gartenhaus

Nun schweift mein Blick über die Ilm hinweg zum Römischen Hause, auf den felsigen Abhang gebaut und Ihrem Gönner Carl August als Sommerwohnung dienend. Sie bevorzugten jene Stelle auf dem Travertinfelsen mit Blick zu Ihrem Gartenhaus und beaufsichtigten die Bautätigkeit für das Domizil Ihres Herzogs.

In seiner Nähe fanden Sie Jahre später in der Fürstengruft inmitten der adeligen Gesellschaft Ihren Ruheort, direkt neben Freund Schiller, wie man so lange Zeit wähnte. Was Schiller betrifft, so würden Sie gewiss nicht die näheren Umstände der Nachforschungen, seine Überreste betreffend, erfahren wollen, wiewohl man in heutiger Zeit kein Stäubchen von ihm mehr vorweisen kann.

Und was hat man gar Ihnen zugemutet! Vor vier Jahrzehnten hatte man in geheimer Mission Ihren Sarg geöffnet, Ihre Gebeine entnommen samt Totenhemd und Lorbeerkranz - Sie hielten diese Aktion für ein Gaunerstück - und all dies mit einem Handwagen ins Museum befördert. Da es zu dieser Zeit zwei deutsche Staatereien gab und die eine nicht wissen sollte, was in der anderen mit Ihren Überresten getan wurde, geschah dies heimlich und nicht zur Tageszeit. Ihr Sterbliches wurde nämlich mazeriert, so dass nur die nackten Knochen blieben.

Ihr Totenhemd wurde nach Berlin gesandt und aufwändig restauriert. Zusammen mit dem Kranze, der noch bestens intakt war, gelangte alles wieder unbemerkt in Ihren Eichenholzsarg. 

Ilmblick
Ilmblick

Als diese Aktion später in einem einzigen deutschen Lande ans Tageslicht kam, gab man gar bei Berichten aus aller Welt, die man täglich in bewegten Bildern betrachten kann, einen kurzen Blick frei auf Ihr mumifiziertes Gesicht. Ich meinte noch Ihre Züge zu erkennen. Gewiss halten Sie diese Worte aus, forschten Sie doch selbst, sammelten Schädel, hielten wohl den echten oder vermeintlichen Schädel Schillers in Ihren Händen ...

Das Bubenstück zweier junger Burschen, die sich kurz vor Beendigung der Öffnungszeit in Ihrem Hause an der Ilm versteckten, sich einschließen ließen, um eine Nacht in diesem Gemäuer zu verbringen, verursachte in dem Staate, der Ihre Person für sich beanspruchte, einigen Aufruhr. Ob diese beiden schlafen konnten in dem Bewusstsein, dass auch Ihr Atem in diesen Räumen aus und ein ging, ist nicht überliefert.

Schlossturm
Schlossturm

Die Turmuhr des Schlosses schlägt dumpf herüber - bei Ihrer Ankunft in Weimar lag dieses nach dem Brande in Trümmern. Ein großes Entsetzen erfasste auch die Menschen vor einem Jahrzehnt, als ein gewaltiger Brand in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek, deren Leiter Sie einst waren, unzählige Bücher verschlang. Zu Ihrer Beruhigung: Die Lutherbibel konnte gerettet werden und das Barockgebäude zeigt sich wieder unbeschädigt. Die kostbaren Bücher, die überlebt haben und zum Teil wieder hergestellt sind, erhielten unter dem Pflaster des Fürstenplatzes eine sichere Behausung.

Im Stadtschlosse konnte man vor Jahren eine Ausstellung sehen, die Ihnen besondere Freude bereitet hätte: „Der Künstler als Poet" war diese überschrieben und meinte damit Tischbein, jenen Malerfreund aus Ihrer italienischer Zeit. Gewiss erinnern Sie sich an das Bild, das Tischbein in Ihrer gemeinsamen Wohnung in Rom fertigte, auf dem Sie in Rückenansicht mit Kniebundhose und Schnallenschuhen zu sehen sind, da Sie aus dem Fenster auf die Gasse blicken. Das weit größere Bild von Tischbein - in jener Weimarer Ausstellung leider nicht zu betrachten - zeigt wiederum Sie: majestätisch hingelehnt auf die antiken Steine, ernst unter dem breitkrempigen Hute hervor sehend.

Tiefenmagazin der Herzogin-Anna- Amalia-Bibliothek und Rotes Schloss
Tiefenmagazin der Herzogin-Anna- Amalia-Bibliothek und Rotes Schloss

Hingegen wäre zu bemerken, dass auf jenem Bilde dem Anschein nach just zu Ihrer Zeit bei der Fertigung des Schuhwerkes die Unterscheidung in rechten und linken Schuh vernachlässigt wurde, obschon die alten Griechen und auch vorzeitliche Menschen diesen Unterschied zu beherzigen wussten.

Zudem scheinen Ihre Schuhe auf dem Bilde etliche Nummern zu klein geraten, wenn man Ihren stattlichen Körperbau berücksichtigt. Schlechterdings ist doch von Ihnen bekannt, dass Sie nie gezwungen waren, auf kleinem Fuße zu leben.

Überdies waren Sie wohl gut zu Fuß und auf Schusters Rappen des Öfteren unterwegs. Man tut es Ihnen auf einer gewissen Strecke von Weimar nach Großkochberg übrigens nach und wundert sich über Ihren flotten Schritt über die Dörfer Vollersroda, Buchfart, Saalborn, Schwarza, Hochdorf und Neckeroda hin, hatten Sie doch nicht das Vergnügen wie die heutigen Wanderfreunde, die unterwegens mit Bowle sowie Kartoffelsalat nach Ihrem Rezepte beköstigt werden.

Ein rüstiger Wanderer benötigt sieben, auch acht Stunden nach Kochberg. Sie hingegen notieren im Sommer 1777:

„ ...ich habe mich gestern heraus geflüchtet, bin um halb sechs zu Fuß von Weimar abmarschiert und war halb zehn schon hier, da alles schon verschlossen war und sich zum Bettgehen bereitete..."

Türgriff vom Haupteingang des Goethehauses am Frauenplan
Türgriff vom Haupteingang des Goethehauses am Frauenplan

Denken Sie nur, Herr Geheimrat: In und um Weimar sind Sie stets in aller Munde - sei es in der Werbung für Thüringer Würste, als Barometer, auch als Akteur in neuzeitlichen Stücken sowie scherzhaften Dingen, die man erwerben kann - eine geballte Faust zum Beispiel - Sie verstehen?

Und gar Ihre Geburtstage! Da sollten Sie leibhaftig vor Orte sein! In jedem Jahr laden sich Ihre Verehrerinnen und Verehrer selbst ein - in Ihrem Haus wird musiziert, man schreitet umher, genießt kleine Häppchen, flaniert in Ihrem Garten bei Kerzenschein, hört wohl auch diese oder jene Rezitation, selbstredend aus Ihrer Feder, schaut umher, ob man auch gesehen werde ...

In gepflegten Gesprächen finden auch Sie ab und an Erwähnung. Gewiss ist dies auch im Residenzcafé in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schlosse der Fall. Kann man doch seit Ihrem 100. Todestag in einem hinzugewonnenen Zimmer vom sich anschließenden Hause, in dem Sie Ihre erste Weimarer Wohnung genommen hatten, gar in Ihrer damaligen Stube sitzen und allerlei Geselligkeit genießen! Was wäre nun Weimar ohne Sie und Freund Schiller? Sie ahnen: ein verloren Provinzstädtchen, in dem die Thüringer Klöße nebst der wohlbekannten Thüringer Bratwurst an förderster Stelle wären! 

Eh ich`s vergesse:

Sicher sollten Sie wissen, dass in einem Schreibwerke, welches vor wenigen Jahren erst die Leser verblüffte, in Erwägung gezogen wurde, Frau von Stein hätte in Ihrem Leben gewissermaßen nur eine Statistenrolle eingenommen, um Ihnen und Ihrer Fürstin Anna Amalia Freiraum zu schaffen - denken Sie nur! Aus etlichen Briefen will der Autor dies herausgelesen haben und wirbelte mit seiner Erkenntnis im Musenörtchen gehörig Staub auf ...

Nun, mich umflattern justament Kohlweißlinge, auch ein Pfauenauge fordert Beachtung, und der Duft von Waldmeister zieht herüber. Dotterblume und Löwenzahn leuchten.

Soeben schneit mir ein leichtes Lüftchen die Kirschblüten der auf der Höhe stehenden Bäume auf mein Blatt ... ich nehme dies als gnädige Antwort von Ihnen.

Eine Verehrerin anno 2014

*****

 Fotos: Ursula Krieger 

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