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Der erste Weimarer Kindergarten

Der erste Weimarer Kindergarten

Carolin Eberhardt

Kinderverwahranstalten hat es bereits zuvor in Weimar gegeben, so zum Beispiel in dem am Jakobskirchhof gelegenen Feodoraheim. Eine Einrichtung, die nach Fröbelschen Erziehungsmaßstäben arbeitete, gab es zuvor allerdngs nicht. Die in Weimar geborene Minna Schellhorn, eine der letzten Schülerinnen Friedrich Fröbels, eröffnete 1851 den ersten Kindergarten der Stadt zunächst in der Erfurter Straße, 1853 zog dieser in die Geleitstraße, 1869 in das Bertuchhaus um. Seinen letzten Standort vor seiner Schließung 1900 fand der Kindergarten dann am Rollplatz 10, das einstige Gebäude wurde allerdings, nachdem es von den Schwestern Schellhorn an die Gemeinde übergeben wurde, 1929 abgerissen, um dem Neubau eines Arbeitsamtes in den 1930er Jahren zu weichen.

Ungefähr 1860 wurde der Kindergarten um eine „Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen“, auch als Kindergärtnerinnenseminar bezeichnet, ergänzt, in welcher Schellhorn selbst die Erzieherausbildung implementierte. Es handelte sich dabei um eine nichtstaatliche Institution. 1872 erfolgte der Eintrag als „Privat Kindergärtnerinnen-Seminar e.V." im Vereinsregister. Doch bewerkstelligte Minna Schellhorn das Unterfangen nicht im Alleingang, sondern verdiente sich gemeinsam mit ihren Schwestern Emma und Bertha den Beinamen „die drei Schellhorn-Tanten“, die drei ersten Kindergärtnerinnen in Weimar überhaupt und damit Vorreiter der frühkindlichen Bildung in der Stadt.

Hier stand bis 1929 das Gebäude des ersten Weimarer Kindergarten
Hier stand bis 1929 das Gebäude des ersten Weimarer Kindergarten

Der Kindergarten wurde von den Weimarern augenscheinlich gut angenommen, wurden doch 1871 hier bereits 100 Kinder unterschiedlicher Stände betreut. Die Oesterreichisch-ungarische Lehrerzeitung aus diesem Jahr spricht der Einrichtung nicht nur einen hervorragenden Ruf zu, sondern bestätigt das allgemeine Vertrauen der Bevölkerung in diese Einrichtung. Ebenso bietet die Zeitschrift einen Einblick in die damalige Ausbildung. Nicht nur Kindergärtnerinnen wurden hier im Zeitraum eines Jahres und gegen ein jährliches Honorar von 50 Talern ausgebildet, sondern auch Lehrerinnen, deren Ausbildung zwei Jahre dauerte. Ebenfalls 1871 konnte sich die Ausbildungsstätte über 15 Schülerinnen freuen.  Im Sinne der Gemeinschaft fanden jeden Monat abendliche Veranstaltungen in den Räumlichkeiten der Schule statt, bei denen zum einen fachlich relevante Inhalte vermittelt wurden, zum anderen gemeinsam dreistimmig gesungen wurde. Auch Mädchen, die nicht die Schule besuchten, waren dazu eingeladen.

Nach Abriss des Domizils am Rollplatz 11 bestand die Bildungsinstitution weiter fort. Mehrfachen Umzügen unterlegen, zunächst in die Bettina-von-Arnim-Straße 1, folgend die Steubenstraße 13, im Anschluss daran Abraham-Lincoln-Straße 6, Mozartstraße 11, zuletzt kam sie sogar in den Räumlichkeiten des Stadtschlosses unter. Aus ihr entwickelte sich folgend eine Berufsschule, die von Wilhelmine Bostedt im Zeitraum von 1934 -1948 geleitet und ab 1939/40 unter der Bezeichnung „Staatliche Frauenschule für sozialpädagogische Berufe“ bekannt wurde. Während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland war Bostedt bemüht, die Schule vor den Ideologien des Nationalsozialismus abzuschirmen. Nach Kriegsende wurde die Schule weitergeführt und erlangte deutschlandweit große Anerkennung und Vorbildfunktion.

Eine Anekdote sei an dieser Stell noch erzählt. Schellhorns Kindergarten konnte sich am 17. April 1861 eines hohen Besuches erfreuen. Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi (1828-1910) wurde von Hofmarschall Beaulieu zu einer Führung eingeladen, da letzterer seinen Sohn in die Betreuung von Minna Schellhorn gegeben hatte. Tolstoi hegte ein reges Interesse an dem Fröbelschen Bildungskonzept, hatte er es sich doch zu seinem persönlichen Ziel gesetzt, das Kindergartenwesen auch in Russland voranzutreiben. Bei besagtem Besuch der Einrichtung in Weimar wurde er Zeuge einiger Spiel- und Bewegungsspiele, die Frau Schellhorn mit den Kindern zusammen präsentierte. Ebenso berichtete Fröbels einstige Schülerin von Fröbel selbst sowie dessen Einrichtung in Marienthal.

 

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Textquellen:

>https://www.pressreader.com/germany/thuringische-landeszeitung-weimar/20210415/282071984726495< abgerufen am 30.01.2023.

Leo N. Tolstoj, sein Leben, seine Werke, seine Weltanschauung, 1892, Band 1, Raphael Löwenfeld, Wilhelmi, Berlin

Weimar- Lexikon zur Stadtgeschichte, hersg. Von Gitta Günther, Wolfram Huschke, Walter Steiner

Oesterreichisch-ungarische Lehrerzeitung, 1871 abgerufen von > https://www.google.de/books/edition/Oesterreichisch_ungarische_Lehrerzeitung/fdxOnth85_gC?hl=de&gbpv=1&dq=minna+schellhorn&pg=PA195&printsec=frontcover < am 30.01.2023.

Mushacke's deutscher Schul-Kalender, Band 25, 1876, Potsdam: Verlag von Aug. Stein, S.371.

 

Bildquellen:

© Sammlung Magdlung Weimar, Stephan Liebig,K2-280_1, Rollplatz: Schellhorn’scher Kindergarten um 1900.

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