1989 – ich bin 27 Jahre alt – gut ausgebildet als Dipl. Ing. für Lebensmitteltechnik, ich bin verheiratet und habe zwei Kinder.
Mit meiner Arbeitsstelle in der Abteilung Forschung und Entwicklung im VEB Limona Weimar habe ich die Arbeitsstelle, die meiner Qualifikation und meinen Interessen entspricht und mir Spaß macht.
Ja, Rohstoffe und Energie sind knapp in der DDR, da heißt es immer wieder improvisieren wenn man etwas Neues entwickeln will, aber das zählt eben zu unseren Herausforderungen.
Für unsere große Wohnung im Firmengebäude der Limona, mitten in Weimar, bezahlen wir 78,00 Mark monatlich Warmmiete.
Dafür haben wir uns verpflichtet Wochenendbereitschaften im Firmengelände zu gewährleisten, wie z. B. beim Abladen der LKW’s zu helfen, die Hilfsmaterialein für die Getränkeherstellung liefern.
Die sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen, die fehlenden Reisemöglichkeiten, die Mangelwirtschaft in vielen Bereichen des Lebens, inspirieren uns im Sommer und Herbst 1989 an Demonstrationen und Kundgebungen teilzunehmen, weil wir Veränderungen in der Politik in unserem Land wollen. Die Flucht vielen DDR-Bürger ins Ausland ist für meine Familie nie eine Option gewesen. Wir wollen Veränderungen hier – in unserer Heimat – und nicht das Land verlassen.
Nach dem Erfolg der friedlichen Revolution im Herbst 1989 bin ich voller Energie und Optimismus, dass es nun zu diesen positiven Veränderungen kommen wird. Als das erste Mal der Ruf nach Wiedervereinigung laut wird, bin ich völlig irritiert, weil diese Möglichkeit in meinem Denken nie eine Option war.
Der schnelle Einigungsvertrag und die Zusammenlegung der beiden deutschen Staaten rufen Freude aber auch Verunsicherung hervor.
Nur ein Jahr später ist meine Firma, der VEB Limona Weimar „abgewickelt“; ein Teil der Belegschaft zu Coca Cola gewechselt, der andere Teil steht auf der Straße. Noch 18 Monate vorher für einen DDR-Bürger undenkbar. Der Kreisbetrieb für Landtechnik, in dem mein Vater 20 Jahre Direktor war – abgewickelt. Meine Schwester, die gerade ausgelernt hat und Ihre 1. Stelle als Kinderkrippenerzieherin angetreten hat, muss erleben, dass alle Kinderkrippen schließen und es den Beruf der Krippenerzieherin nicht mehr gibt. Viele Firmen, in denen Familie und Freunde tätig sind, werden geschlossen und so verändern sich für die eigene Familie und die Familien von Verwandten und Freunden die Lebensentwürfe und –verhältnisse in kürzester Zeit grundlegend.
Nach kurzer Arbeitslosigkeit habe ich eine Stelle in einer Elektrotechnikfirma, die im Sauerland ansässig ist, bekommen. Gemeinsam mit zwei Kollegen haben wir den Vertrieb für deren Produkte in den neuen Bundesländern aufgebaut. In einer für mich berufsfremden Branche habe ich mir Stück für Stück wieder Kompetenz und Erfolg im Beruf erarbeitet.
Nach 12 Jahren Außendiensttätigkeit in der Industrie habe ich 2004 noch einmal einen neuen Schritt gewagt und in einem Unternehmen angefangen, dass hauptsächlich für soziale Einrichtungen den Einkauf tätigt und organisiert. Von einer anfänglichen Halbtagstätigkeit konnte ich durch Engagement und Fleiß mit dazu beitragen, dass sich das Unternehmen sehr gut entwickelte.
Heute bin ich in führender Position und kann sagen, dass trotz der großen Umbrüche in meinem Leben, die immer wieder neues Denken, Weiterbildung und persönlichen Einsatz erfordert haben, mein Leben sich seit der Wiedervereinigung interessant und positiv entwickelt hat.
Sicher hätte man mit mehr Zeit und gründlicheren Recherchen Fehler im Einigungsprozess vermeiden können aber die einmalige, historische Chance musste eben auch genutzt werden. Ob ein längerer Prozess - auch hinsichtlich der weltpolitischen Entwicklungen - noch einen einheitlichen deutschen Staat zum Ergebnis gehabt hätte, ist meiner Meinung nach eher unwahrscheinlich.
Und so möchte ich sagen, dass es für mich und meine Familie insgesamt ein großes Glück war, dass die Wiedervereinigung 1990 stattgefunden hat und sich so vieles zum Guten entwickelt hat und ich möchte auch jüngeren Menschen Mut machen, keine Angst vor Veränderungen und neuen Herausforderungen zu haben, denn mit gutem Mut und einer positiven Einstellung kann man sehr Vieles meistern und im Nachhinein sagen, dass es das Leben bereichert hat.
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Bildquellen:
Vorschaubild: IFA W50 wird wahrscheinlich von der Telefonabteilung in Weimar verwendet. In diesem Gebäude befand sich das erste Bauhaus in Deutschland, bevor es 1926 in das berühmte Gebäude in Dessau umzog. Befindet sich in der Geschwister-Scholl-Str. 1-3. Seit 1996 die Bauhaus-Universität. von Felix O - The first Bauhaus in Weimar, DDR. Kunsthochschule mit Deutsche Post IFA LKW Aug 1989, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10...
1875 als Brauereigebäude errichtet. Nach starken Zerstörungen 1888 und 1945 jeweils wieder aufgebaut. 1953 in Volkseigentum überführt und für die Limonadenabfüllung umgenutzt. 1989 von Coca-Cola übernommen, die den Bau 1991 an einen Investor übergibt. Seit 1993 wird der Bau von der Fakultät Gestaltung der Bauhaus-Universität Weimar genutzt. Von © R.Möhler - Originally posted to Panoramio as Limona-Gebäude (BUW, Fakultät Gestaltung), CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15...
„Wessis in Weimar“: Kundgebung von Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf dem Theaterplatz Weimar (1990) von Bundesarchiv, Bild 183-1990-0224-019 / Ludwig, Jürgen / CC-BY-SA, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=54...