Bereits seit langer Zeit pflegte die beliebte Herzogin Anna Amalia, den Freunden und Bekannten ihres engsten Kreises zu Weihnachten eine Bescherung durch das Christkind zukommen zu lassen. Im Jahr 1871 nun wollte sich Goethe für diese herzliche Aufmerksamkeit bedanken, indem er ihr ein Gemälde schenkte. Das Besondere: die deutsche Literatur der vergangenen Jahre war darin verbildlicht. Der Künstler, der Hofmaler Georg Melchior Kraus, hatte die große Aquarellzeichnung nach Entwurf und im Auftrag Goethes erschaffen. Als Vorlage dazu diente Goethes zuvor verfasstes Gedicht mit gleichem Titel, den auch das Gemälde trug: „Das Neueste aus Plundersweilern“. Es wurde am Weihnachtsabend verhüllt aufgestellt. Zur Übergabe des besonderen Geschenks traten ein Marktschreier und ein Hanswurst in die Stube der Herzogin. Ersterer hielt eine kurze Ansprache, enthüllte das Bild und ahmte mimisch die Rollen der Figuren auf dem Gemälde nach, während der Hanswurst die Gestalten des Bildes in der angeordneten Reihenfolge bezeichnete und mit einer Britsche darauf zeigte. Ein wenig anzüglich wurde die Veranstaltung durch einige Anwesende empfunden, erkannten doch auch sie sich in dem ironischen Bild an der einen oder anderen Stelle. Doch auch Goethe selbst hatte sich in der Inszenierung nicht geschont. Er war dargestellt als Dichter der Leiden des jungen Werthers, welcher den Leichnam des Unglücklichen auf dem Rücken trug. Der Selbstironie nicht genug, wird Goethe von einer Schar schwermütiger Junggesellen und Jungfrauen verfolgt, welche an Stangen befestigte Vollmonde und brennende Herzen tragen und dazu bereit scheinen, Werther in den Selbstmord zu folgen. Weiterhin finden alle Literaturbewegungen der damaligen Zeit ihre Entsprechung. Zu sehen sind die Stürmer und Dränger, ebenso wie die Ritterromanschreiber, der Göttinger Hain, übertriebene Klopstockverehrer und, nicht zu vergessen, die von Goethe als Schand- und Schundliteratur empfundene Gattung. Der Kritiker Merck thront auf dem Dach des Hauses der Frau Kritik. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass in besagtem Haus einige Männer Bücher in Stücke reißen, andere sie mit der Elle vermessen, wieder andere auf der Waage wiegen. Der riesige, auf Stelzen einherschreitende Götterbote symbolisiert Wielands Teutschen Merkur, die bedeutendste literarische Monatsschrift jener Zeit.
Sowohl das Gemälde als auch das Gedicht wurden durch die Herzogin mit einem lebhaften Beifall quittiert. Das Bild fand einen Ehrenplatz in einem Zimmer des Tiefurter Schlosses.
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Textquelle: Weizsäcker, Paul: Anna Amalia, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach, die Begründerin des Weimarischen Musenhofes, Hamburg: Verlagsanstalt und Druckerei A.G., 1892.
Vorschaubild: Georg Melchior Kraus: Das Neueste von Plundersweilern, Aquarell, Goethe Nationalmuseum Weimar, 1932 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.