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Tee mit der Königin

Kurzgeschichten aus Wales herausgegeben und übersetzt von Frank Meyer und Angharad Price.

Der alte Musik- und Kulturplatz Buttelstedt

Der alte Musik- und Kulturplatz Buttelstedt

Eberhard Neumeyer

„Buttelstedter Barock“, eine „ächt Bachische Creatur“ und eine neue alte Orgel

„ächt Bachische Creatur“ von 1938
„ächt Bachische Creatur“ von 1938

Eine erste Zusammenschau zeigt, dass Orgellandschaft, Musik- und Kirchengeschichte nördlich von Weimar und Ettersburg durch die alte, einst bedeutende Landstadt Buttelstedt, eine frühmittelalterliche, Mainzisch-Hersfeldische Gründung mit frühem Markt- und Stadtrecht, entscheidend geprägt sind. Sie markiert einen Ort von kultureller, vorrangig musikalischer Bedeutung, dessen Namen Programm sind:

- Johann Tobias Krebs (1690 Heichelheim – 1762 Buttstädt), Vater des „Buttelstedter Barock“, der Zeit zwischen 1690 und 1780, Schüler Bachs, 1710 – 1721 Kantor und Organist in Buttelstedt, danach in Buttstädt;

- Johann Ludwig Krebs (1713 Buttelstedt – 1780 Altenburg), sein Sohn, Meisterschüler Bachs in Leipzig, ab 1756 Hoforganist an der Trost-Orgel der Schlosskirche zu Altenburg;

die Musikerfamilie Krebs führt den Kirchenmusikort Buttelstedt mehrfach mit Johann Sebastian Bach zusammen. Vater Johann Tobias Krebs wandert ab 1710 als junger Kantor zweimal wöchentlich zu Bach nach Weimar, um bei ihm „in der Composition und Clavier-Spielen [....] Lection“ zu nehmen. Sohn Johann Ludwig Krebs ist später an der Thomasschule in Leipzig der von Bach außerordentlich geschätzte Schüler, der von ihm besondere Förderung erfährt, z.B. als Cembalist im Bachschen Collegium Musicum mitwirkt oder von ihm zu damals wichtigen und vertrauensvollen Dingen, wie zum Kopieren von Noten herangezogen wird, weshalb Bach ihn auch den besten Krebs in seinem Bache nennt;

- Johann Friedrich Fasch (1688 Buttelstedt – 1758 Zerbst), ab 1722 Hofkapellmeister in Zerbst;

- Johann Wilhelm Koch (1704 Buttelstedt – 1745 Ronneburg), Kantor, Freund Bachs, er machte Ronneburg (Thüringen) zur Bachstadt;

- Franz Liszt und August Wilhelm Gottschalg, „sein“ Organist und Kantor (19. Jh.) ;

- Gustav Wilhelm Steinacker (1809 Wien –1877 Buttelstedt), 1858 bis zu seinem Tode Pfarrer in Buttelstedt, Freund Liszts, Theologe, sog. Reformpädagoge, Historiker, Schriftsteller, letzterer wie die vorherigen mit reichen Verbindungen zu Weimar. Steinacker gründet 1859 in Buttelstedt einen vielbeachteten Kindergarten nach Fröbelschem Vorbild und wirkt in Weimar bei Liszts Veranstaltungen in der Stadtvilla „Altenburg“ mit – Liszts Lebens- und Schaffenszentrum im nachklassischen Weimar; Buttelstedt würdigt Steinacker durch Namensgebung und Projekte der Schulen

Überhaupt ist Buttelstedt auch im 19. Jh. Ort vielfacher Musiker-Begegnungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Orgel-Aktivitäten der „Musiker-Troika“ Liszt-Gottschalg-Steinacker. Mit den vielfachen und kreativen Beiträgen von Steinacker selbst bei Liszt in Weimar kann Buttelstedt zum musikalischen Wirkungskreis Weimars nicht nur des 17./18. Jahrhunderts, sondern auch des 19. Jhs. gezählt werden; Interessant auch, dass sich in bedeutenden Musikerfamilien Buttelstedt als „Erscheinungsort“ findet, so erscheinen Vorfahren von Albert Lortzing (1801–1851/ Komponist des „Wildschütz“) 1531 und 1555 als Bürger Buttelstedts, die in dieser Zeit unter anderem als Ackerbürger, Handwerksmeister und Chirurgen in der Stadt eingetragen und sesshaft sind. Damit bestätigt sich gleichzeitig, dass die ersten nachweisbaren Vorfahren dieser Berliner Komponistenfamilie nicht aus Südthüringen (Dreißigacker bei Meiningen), sondern aus Nordthüringen, aus Buttelstedt kommen. Und zumindest erwähnenswert ist, dass Justinus Bertuch (1677–1718 Buttelstedt), Theologe, Großvater des Weimarer Verlegers und Schriftstellers Friedrich Justin Bertuch, 1716 bis zu seinem Tode Pfarrer in Buttelstedt war und regen Anteil am kirchlichen Musikleben nahm;

Die hier versammelten Persönlichkeiten der Musik und der Kirchengeschichte des 16. bis 19. Jhs. allein schon verpflichten zu einer Wahrnehmung des Ortes. Eine einfache, naheliegende Botschaft: Beiträge vor allem aus Buttelstedts früher Kulturgeschichte könnten über Kirche, Kirchenmusik und Franz Liszt Hochschule verstärkt auch Gegenstand für Forschungen und Impulsgeber für Weimar beziehungsweise für eine themenorientierte Aufarbeitung und Zusammenarbeit sein.

Buttelstedt wurde 768 an der späteren Via Regia, einem heute ihrem Verlauf folgenden Pilgerweg und am Kreuzungspunkt alter Handelsstraßen gegründet. Die Stadt war einer der vier Gerichtsplätze der Thüringer Landgrafen (heutiges Denkmal oberhalb des Stadtzentrums), besaß bereits im 12. Jh. eine Landgrafenburg, die Bürgern und Handelsreisenden Schutz bot, hat aufgrund seiner kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung seit 1334 Markt- und seit 1454 Stadtrecht. Unter der Herrschaft der Wettiner in Thüringen, in der „vorweimarischen Zeit“ setzte sich die führende Rolle Buttelstedts in Kultur und Verwaltung fort. In die Stadt führte die Krämerbrücke, einst Verkehrsweg, Wohn-, Markt- und Handelsplatz, identisch mit der Via Regia. Buttelstedt überrascht durch eine Vielzahl von Kunstschätzen und Denkmalen, wie dem einzigartigen Menhir, dem bereits erwähnten Dingstuhl als landgräflichem Versammlungs- und Gerichtsplatz, dem ehemaligen Pfarrwitwenstift mit einer Erinnerungsstätte an die Komponisten Krebs und Fasch(Klanginstallation), der Heimatkundlichen Sammlung Otto Geißler und wechselnden Ausstellungen, der alten Schule am Markt und dem ehemaligen Wendenburg'schen Herrenhaus. Damit ist heute neben der Schortmannschen Villa aus dem 19.Jh. (quasi als Burg-Nachbau), dem Denkmalensemble des Marktes – einschließlich dem Einzeldenkmal Kirche mit restaurierter Weißhaupt-Peternell-Orgel – das insgesamt neu gestaltete historische Kirchen- und Burgquartier über dem Markt baulich vollendet. Zu Buttelstedt gehören die Gemeinden und Stadtteile Daasdorf bei Buttelstedt, Nermsdorf und Weiden. Es zeigt sich, übrigens auch landschaftlich, ein selten schönes Ganzes.

Die mächtige Stadtpfarrkirche Sankt Nikolai, der „Dom des Weimarer Nordens“, wurde 1486 bis 1566 als einschiffiger spätgotischer (Saal-) Bau auf den Befestigungen der Buttelstedter Burg errichtet. Mit der Renaissance-Kanzel von 1670, der Krypta, den beeindruckenden Maßwerkfenstern, sowie den von dem Berliner Architekten, Bildhauer und Grafiker Paul Birr entworfenen und 1928 von der Weimarer Werkstatt Ernst Kraus ausgeführten Buntverglasungen birgt sie einen reichen Schatz an Kunstwerken.

In der Kirche befinden sich aufwendig gestaltete Epitaphien, die unter anderem den vom 16. bis 18. Jh. in Buttelstedt ansässigen Familien Gottfahrt und Goechhausen gewidmet sind, letztere unterstützte den Orgelbau und 1710 die Berufung Johann Tobias Krebs‘ zum Kantor und Organisten an der Weißhaupt-Orgel in Buttelstedt. Eine der Epitaphien-Bemalungen (vermutlich die des ersten evangelischen Buttelstedter Pfarrers During) stammt von dem Lucas Cranach (d.Ä.)-Schüler Peter Roddelstedt aus dem Jahre 1563. „Peter Roddelstedt aus Gottlandt“, wie er sich selbst nennt, war als Künstler bedeutend, wurde bereits 1553 zum Hofmaler der sächsischen Kurfürsten und Amtsnachfolger von Lucas Cranach dem Älteren ernannt. Die Brüstungen zeigen kunstvoll gestaltete Lutherworte und eine sehr schöne Lutherrose. Der 57 m hohe Turm der Kirche dominiert weithin alle Sichtachsen zur Stadt. Die Turmuhr aus der Zeit kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg ist aufgrund ihrer Schlagtechnik und ihrer aktuellen Funktionstüchtigkeit neben der Orgel eine Seltenheit im Kirchenraum zwischen Weimar und Halberstadt.

Nach Umbauten im Innenraum 1681 und 1690 erhielt die Kirche ihr heutiges Aussehen mit Holztonne, Doppelempore, zusätzlicher geschwungener Orgelempore über den Westemporen. Es ist ein Kirchenbau, der seinesgleichen um Weimar sucht, und der von der einst herausragenden Stellung der Stadt zeugt. Nicht zu vergessen ist die faszinierende Akustik der Kirche, der sie am Ort bedeutender Barock-Komponisten als herausragenden Orgel-Standort und Konzertraum ausweist. Bemerkenswert: erst im evangelischen Gottesdienst werden der Orgel und der Kirchenmusik, dem Gemeinde- und Chorgesang ihre besondere Bedeutung eingeräumt, auf Musikalität wurde allgemein Wert gelegt, der Buttelstedter Schuldirektor musste vor Antritt seines Dienstes vorsingen und seine musikalische Befähigung nachweisen!

Stadtblick von der Ledergasse
Stadtblick von der Ledergasse

Für die Musikpraxis in Kirche und Kirchengemeinde von Buttelstedt sind ein „Chorus musicus“ (Gesangschor) und später ein Adjuvantenchor mit Instrumentalbegleitung überliefert, in dessen Tradition der Kirchenchor Buttelstedt steht. Die Instrumentalbegleitung steuert heute der Posaunenchor Buttstädt bei. Dieser Zelle musikalischer Aktivität und Ausstrahlung sollte alle Aufmerksamkeit geschenkt werden, wenn möglich auch in engerer Verbindung mit der Barockstadt Buttstädt und gemeinsamen Programmen wie Aufführungen an beiden Orten. Buttelstedt und Buttstädt sind längst über die Musik verbunden, beide sind Krebs-Städte, Vater Tobias Krebs war dort Kantor und Organist, im Stadtzentrum steht seine Arbeitsstätte, die in Musikpflege und Architektur prächtige Michaeliskirche, gegenüber einem beeindruckenden Renaissance-Barock-Stadtquartier. Und Buttstädt wurde berühmt durch seinen Superintendenten Johann Anton Mylius (1657-1724). Er ließ die Musikwelt mit seiner zwölfstrophigen Dichtung für eine Bach-Vertonung „Alles mit Gott und nichts ohn‘ Ihn“ aufhorchen – 1715 zu Herzogs Geburtstag und neuestens 2005 anlässlich ihrer Wiederentdeckung in der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek!

Maßwerkfenster der Stadtkirche
Maßwerkfenster der Stadtkirche

Die Weißhaupt-Peternell-Orgel in der Stadtpfarrkirche St. Nikolai Buttelstedt ist nach der denkmalgerechten Restaurierung 2015-2018 durch Orgelbaumeister Georg Wünning (Großolbersdorf/Sa) eine Orgel mit barocken Grundzügen aus dem Jahre 1704 von Johann Conrad Weißhaupt (1657-1727) und Carl Friedrich Peternell (1815-1877), letzterer baute die Orgel in Seligenthal eineinhalb Jahrhunderte später 1857/58 grundlegend um, „romantisierte“ und vervollkommnete sie. Heute, nach der Restaurierung durch die Werkstatt Georg Wünning, erstrahlt sie mit neuem klanglichen und äußeren Glanz, zurückgeführt im Rahmen des Denkmalstatus auf ihre originale barocke Stimmtonhöhe. Bachs Lob für Weißhaupt qualifiziert in besonderer Weise die vier Jahre vor Weimar entstandene erste Buttelstedter Orgel von 1704. Weißhaupt nämlich schuf 1707/08 vor Bachs Ankunft in Weimar durch Umbau und Erweiterung der vorhandenen Compenius-Orgel auch die berühmte Orgel in der Schlosskirche zu Weimar, J. S. Bachs Kompositionsinstrument, für das er als Hoforganist zahlreiche Orgelwerke schrieb, und die er ihrer Zuverlässigkeit wegen schätzte. Heinrich Nicolaus Trebs betreute Bach quasi als „Freund der Familie“ nach 1712 bei weiteren Orgelangelegenheiten und -verbesserungen während seiner Weimarer Zeit. Allerdings gibt es in der internationalen Literatur in diesem Zusammenhang nirgendwo und zu keiner Zeit einen Hinweis über eine Äußerung Bachs zum Nachteil von Weißhaupt und dessen Orgel von 1708.

Mit Wilhelm Christoph Trebs, Nicolaus Trebs‘ Sohn, und seinen Reparaturen 1774 an der Buttelstedter Orgel besteht später eine weitere handwerklich-künstlerische Parallele zur Schloss-Orgel in Weimar. Man kann sagen: Dass zwei namhafte Orgelbauer bzw. Orgelbauerfamilien des 18. Jhs., Weißhaupt und Trebs, zur Bachzeit in Weimar und Buttelstedt (Trebs wie gesagt auch noch einmal später in Buttelstedt) tätig waren, ist schon interessant und sicher kein Zufall!

Lutherrose in der Stadtkirche
Lutherrose in der Stadtkirche

Nach der jetzigen Restaurierung steht fest, dass Peternell wichtige Bauteile der Weißhaupt-Orgel übernommen hat. Es erklärt zudem dessen auffallend pflegliche Behandlung und außerordentliche Wertschätzung von Weißhaupts Arbeit. Über zwei Drittel des Pfeifenbestandes von 1704 befinden sich nach neuesten Erkenntnissen noch in der Buttelstedter Orgel, daher der heutige Doppelname. Und natürlich machen die originalen Bauteile aus der Vorgängerorgel von Weißhaupt diese Orgel besonders kostbar. Die Organisten- und Komponistenfamilie Krebs liefert zudem den Nachweis für die barocke Musizierpraxis auf der Buttelstedter Weißhaupt-Orgel. Sie bildet in der Nähe und im Wirkungskreis zu Johann Sebastian Bach (Weimar 1708 - 1717) den Hintergrund für Buttelstedt als kirchlichen und städtischen Musikort. Bereits nach der Revision des Peternell-Umbaus durch den berühmten Weimarer Stadtorganisten und Orgelsachverständigen Johann Gottlob Töpfer von 1858 ist die Orgel ein Gesamtwerk von hohem künstlerischen und musikhistorischen Wert.

Es bestätigt sich eindrucksvoll. Das Landstädtchen Buttelstedt ist neben dem höfischen Ettersburg der besondere Ort im Norden Weimars, ein offener Ort mit einem reichen Fundus für Forschung und Aussicht auf Entdeckungen, er ist nicht und war nie willkürlich vergleichbar. Es gilt, nachdem der Orgelstandort gerettet ist und neu erstrahlt, das Bewusstsein zu pflegen und zu erhalten, dass es diesen Ort hier gibt.

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Bildquellen:

Vorschaubild: Die neue (restaurierte) Orgel, Foto von Felix Friedrich, Altenburg

Auszug aus das "Thüringer Fähnlein" Heft 3, 1938

weitere Fotos von Eberhard Neumeyer

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