Mit dieser Bank an der Leutra, liebe Leserinnen und Leser, im Ilm-Park nahe der Sternbrücke, hat es eine besondere Bewandtnis. Lesen Sie darüber das letzte Kapitel des Romans von Christoph Werner, Buckingham Palace, das im Bertuch Verlag erschienen ist.
Kapitel 13
Thüringen, Weimar
Es hatte aufgehört zu schneien. Das Technische Hilfswerk, die Feuerwehr, die Stadtwirtschaft, der städtische Bauhof, die Stadtgärtnerei, die Stadtverwaltung und selbst die Museumsangestellten verstärkten ihre Anstrengungen, Straßen und Wege vom Schnee freizumachen. Am besten eigneten sich Radlader und Schiebeschilder an den Schneepflügen und Reinigungsfahrzeugen. Die Bundeswehr und auch private Unternehmen stellten Lastwagen zum Abtransport zur Verfügung. Mit Schmerzen sah die Parkverwaltung zu, wie der Schnee über die Leibniz-Allee in den Park an der Ilm gefahren wurde. Man sperrte den Park und begann, an der Sternbrücke beginnend, den Schnee aufzuschütten. Dabei bemühte man sich, die kleine Leutra freizulassen, was nicht ganz gelang. Die drei Leutraquellen gehören zu den Spaltenquellen, die längs der Ilmtalstörung aus größerer Tiefe kommen und deshalb das ganze Jahr über eine gleichbleibende Temperatur von etwa 8,5 °C aufweisen. Das heißt, dass sie nur bei größter Kälte zufrieren, was seit Jahren nicht mehr geschehen war. Die Leutra, auch Läutra oder Läuter hat ihren Namen von dem außerordentlich klaren, das heißt lauteren Wasser. In der Vergangenheit wuschen oder läuterten viele Weimarer Frauen ihre Wäsche in dem Bach.
Die südlichste Quelle kommt unter einer drei Meter langen Travertinplatte zutage. Bei ihr steht eine große Esche. Darunter befindet sich eine Bank. Als die Lastwagen mit dem Schnee kamen, war die Bank tief verschneit und nicht zu erkennen. Die Männer schütteten noch mehr Schnee an die Stelle.
Als der Schnee Ende Januar zu schmelzen begann und nach mehreren Tagen die Bank freigab, fanden Spaziergänger einen toten Mann auf der Bank. Die Polizei fand bald heraus, dass es sich um Christian Silberschlag handelte, der seit einigen Wochen gesucht wurde. Seine Töchter hatten, nachdem er weder auf Klingelzeichen noch Telefonanrufe reagiert hatte, eine Vermisstenmeldung aufgegeben.
Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass er an einem Herzschlag gestorben war. Noch bevor der Sektionsgehilfe begann, den Schädel des Toten aufzusägen, bemerkte er zu seinem Chef, dem Gerichtsmediziner, dass der Mann einen leichten und schnellen Tod gehabt haben müsse. Sein Gesicht sei ganz friedlich, fast so, als erwarte ihn etwas Schönes.
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Vorschaubild "verschneite Bank": Rita Dadder
Foto "Silberschlags Bank": Christoph Werner