Van de Velde Wohnhaus
Uta Plisch
Haús Hohe Pappeln Südterrasse
Wer nach Weimar kommt, hat seit einigen Jahren die Möglichkeit, das Van de Velde-Haus „Hohe Pappeln" zu besichtigen, welches der Architekt 1907 für seine Familie entwarf und in dem er während seiner Zeit in Weimar bis 1914 wohnte.
Erst fünf Jahre nach seinem Amtsantritt als künstlerischer Berater am Kunstgewerblichen Seminar verwirklichte Henry van de Velde den Traum vom eigenen Haus am Rande der Stadt. Am Anfang musste sich das Ehepaar noch mit einer bescheidenen Mietwohnung in der Cranachstraße begnügen. Aber nachdem fünf Kinder da waren und Maria van de Velde Wert auf eine freie Erziehung ihrer Kinder legte, suchte der Architekt ein Plätzchen in der freien Natur. Van de Velde, der nach dem Weggang von Harry Graf Kessler in das Kreuzfeuer der Kritik gelangt war und zusehends unter der Missachtung seitens des Großherzogs litt, wollte mehr Distanz zum Hof und mehr Freiheit, was seine Arbeit betraf. Im Sommer 1906 erwarb er daher ein klein bemessenes Grundstück an der Belvederer Allee 58 im damals noch nicht eingemeindeten Vorort Ehringsdorf und reichte ein Jahr später die Pläne ein. Bereits sieben Monate nach Baubeginn konnten Henry und Maria van de Velde mit ihren fünf Kindern die Villa Ende März 1908 beziehen.
- Das Haus zeichnet sich durch eine eigenwillige Architektur aus. Es hat viel Ähnlichkeit mit einer mittelalterlichen Burg mit tief herabgezogenem Walmdach, verwinkeltem Eingang und grobem Mauerwerk. Manche sehen in dem Bauwerk auch ein umgekehrtes Schiff. So gleicht der nach Nordosten zeigende spitzwinklige Eingangsbereich des Hauses einem Bug, das Dach einem umgekehrtem Schiffskiel und das nach Süden ausgerichtete Heck birgt einen offenen Pergola-Umgang mit Terrasse.
- Van Velde verfolgte mit dem Bau seines eigenen Hauses das damals nicht unübliche Prinzip des Bauens von innen nach außen. Zuerst kam die Konzeption und Funktionalität der Räume, anschließend das Drumherum. Dafür spricht nicht nur die eigenwillige Disharmonie der Außenarchitektur, sondern vor allem die funktionale Klarheit des Inneren. Das Erdgeschoss beherbergte auf einer Hauptachse die repräsentativen Räume wie Salon, Arbeits- und Speisezimmer. Das Herz und funktionaler Mittelpunkt des Hauses bildete eine Wohndiele, die Treppenaufgang und Wohnraum in sich vereinigte. Von ihr aus waren alle Bereiche des Hauses erschließbar: die Küche im Souterrain, die Haupträume im Erdgeschoss sowie die privaten Zimmer im Obergeschoss. Auch mit seinem eigenen Haus verwirklichte van de Velde ein individuelles Gesamtkunstwerk, das Architektur, Raumausstattung und Malerei in gleichem Maße harmonisch zusammenband. So harmonisierten die Farben Amarantrot, Moosgrün und Blau miteinander sowohl in den Wandbespannungen als auch in den Teppichen, Keramiken und Möbelstoffen und sogar in den Gemälden an den Wänden.
- Das Haus mit seinem Garten diente der Familie als Rückzugspunkt. Hier wuchsen die fünf Kinder Nele, Helen, Anne sowie Thyl und Tilla »in der Unschuld und Fröhlichkeit eines sorglosen Lebens ohne Krankheiten, ohne konventionellen Zwang und ohne von allzuviel Arbeiten gequält zu werden, in der Fülle ihrer Kräfte und in der freien Entwicklung ihres Wesens« (van de Velde) heran. Zahlreiche Freunde der Familie und Künstlerkollegen gingen im Haus »Hohe Pappeln« ein und aus, unter ihnen die Ehepaare von Nostitz und von Herrmann, Hugo von Hofmannsthal, Richard Dehmel, Ferdinand Hodler, Theo van Rysselberghe, Pierre Bonnard oder Maurice Denis, um nur einige zu nennen.
- Lange hielt diese Idylle nicht an, denn der Erste Weltkrieg machte auch vor Weimar nicht halt. Van de Velde, der nun als »feindlicher Ausländer« galt, bat um seine Entlassung und beendete seine Arbeit an der Kunstgewerbeschule im Herbst 1915. Erst zwei Jahre später gelang ihm mit Unterstützung einiger einflussreicher Freunde die Übersiedlung in die Schweiz. Seine Familie folgte ihm nach Kriegsende. Später lebte und arbeitete er in Belgien, bis er nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum in die Schweiz zog. Er starb 1957 in Zürich.
- Im Jahr 1938 ging das Haus in den Besitz der Evangelischen Landeskirche von Thüringen über. Im Zuge einer aufwendigen Sanierung von 1990 bis 1995/1996 mit Unterstützung der UNESCO, des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und vor allem der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Bonn konnte das Haus seine Ursprünglichkeit zurückgewinnen.
Jetziger Inhaber des Hauses ist die Stiftung „Weimarer Klassik und Kunstsammlungen". Durch sie wurde das Haus nun vollständig saniert und mit Möbeln, die van de Velde für den Schriftsteller Max von Münchhausen entworfen hatte, ergänzt. Die Einrichtung für sieben Zimmer wurde mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder für 385.000 Euro von der Familie Münchhausen in Italien gekauft und ist nun in einer Ausstellung zu sehen. Mit der neuen Trägerschaft fungiert das Haus „Hohe Pappeln" in Zukunft nicht nur als Museum, sondern auch als Raum für kleinere Konzerte, Festveranstaltungen und Ausstellungen.
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Bildquellen:
- Vorschaubild: Haus Hohe Pappeln Ostansicht, Urheber: Most Curious via Wikimedia Commons
- Foto im Text: Haus Hohe Pappeln Südterrasse, Urheber: Most Curious via Wikimedia Commons
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