Der Generalintendant und Geschäftsführer des DNT in Weimar führte bei der Inszenierung „A Clockwork Orange" Regie und beantwortete einige interessante Fragen zu der Inszenierung des Stückes, welches 2022/2023 bereits seine vierte Spielzeit durchlief.
„A Clockwork Orange“ ist sowohl als Roman als auch als Verfilmung auf Grund der dargestellten Brutalität und der zutage tretenden Gesellschaftskritik nur als schwere Kost zu verdauen. Was hat Sie dazu bewegt, das Stück auf die Bühne des DNT zu bringen?
Weber: Bei der Suche nach einem Stoff bin ich eher zufällig auf den „A Clockwork Orange“-Komplex gekommen. Tatsächlich, wie Sie schon sagten, weil es ein sperriges Ding ist. Der Roman ist ja gar nicht so bekannt wie der Film. Ich glaube, es haben auch nicht viele das Buch gelesen. Das ist wirklich aufschlussreich, weil es ein verkanntes, oder vielmehr vergessenes Stück Weltliteratur darstellt. Vielleicht nimmt die Bedeutung des Buches aber wieder zu. Die Verfilmung ist bekannter und höchst relevant. Der Film hat, würde man heute sagen, eine durchgestylte Gesamtästhetik und damit natürlich auch die Möglichkeit, mit dem Gewaltpotential in einer Art und Weise umzugehen, wie es sie bis dahin im Film noch nie gegeben hat. Die Ästhetik ist bestimmt durch eine Zeiterscheinung: In Großbritannien haben sich die Fußballfans in der Form gekleidet, wie die Droogs im Film. Natürlich nicht ganz eins zu eins, aber die Melone, Zylinder, weiße Kleidung, Boots, das war eine Mode, an der sich der Film dann orientierte. Und dadurch hat das Ganze eine unglaubliche Brisanz bekommen. Vor allem in Großbritannien ist der Film zum Kult geworden. In Deutschland wirkte alles eher wie eine Erfindung oder eine Kostümierung. Auch der Film ist mittlerweile Geschichte. Inzwischen ist er eher ein Geheimtipp. Wie auch immer, wir standen dann für die Spielzeit 2017/2018 vor der Frage, was wir inszenieren wollen. Und da war diese Ansammlung an Themen: Gewalt, Generationsthema, Gruppe in der Gesellschaft, Resozialisierung, Moral, so gut, dass wir das Stück als tollen Stoff gewählt haben.
Wie entstand die Idee, dass Stück mit Rammstein-Songs zu untermauern?
W.: Als wir uns für das Stück „A Clockwork Orange“ entschieden hatten, war es ein relativ schneller Gedanke gewesen: lasst uns das doch mal mit Rammstein, mit deren Musik und deren Texte verknüpfen. Die Band ist natürlich ein Gigant. Wie wollen wir das realisieren, war nun die Frage. Wie soll das gehen? Dann habe ich mit Tom Götze, dem Bassisten und musikalischen Leiter der ganzen Veranstaltung, gesprochen. Ihn kenne ich schon sehr lange, aus meiner Zeit in Dresden, und er war dafür, das Vorhaben, auch wenn es eine verrückte Idee war, gemeinsam anzugehen.
Wie kam es zu dem Cast der teilnehmenden Darsteller in „A Clockwork Orange“?
W.: Tom Götze erkundigte sich, wer für die Besetzung der Band zur Verfügung stehen würde, woraufhin ich ihm nur antworten konnte, niemand. Dann haben wir eine Art Talentshow im Ensemble gemacht und Tom Götze hat Lars Kutschke, den Gitarristen, dazu geholt. Dabei ist es geblieben. Die beiden sind die einzigen professionellen Musiker, die während des Stücks auf der Bühne stehen. Alle anderen sind Schauspielerinnen und Schauspieler. Markus Horn war Hobbyschlagzeuger und ist jetzt nach den Jahren, in denen wir das Stück gespielt haben zum Drummer geworden. Nahuel Häfliger, der Alex spielt und singt, ist ein vielseitiges musikalisches Talent, auch gesanglich. Alle brachten das ein, was sie mitbringen konnten. Lutz Salzmann hatte zum Beispiel noch nie zuvor am Keyboard gestanden. Das haben wir uns alles angeeignet und uns eine Probezeit von drei Wochen gesetzt, in denen wir nur musikalisch gearbeitet haben, um zu sehen, ob wir das Projekt überhaupt anhörbar hinkriegen. Es stand auf der Kippe. Aber wir haben es hinbekommen.
Wie gestaltete sich die weitere Entwicklung der Inszenierung?
W.: Im Sommer 2018 kam das Ensemble wieder zusammen. Es gab in dem Sinne keinen Entwurf eines Bühnenbildes, sondern wir haben mit den Gewerken – Licht, Ton, Technik – über das Projekt gesprochen, darüber, dass eine Band auf der Bühne steht und Rammstein-Songs gespielt werden sollen. Dementsprechend mussten die Mitarbeiter*innen der Gewerke entscheiden, wo zum Beispiel das Schlagzeug positioniert wird, wie eine Verstärkung und eine Abnahme funktionieren kann. Unter unseren Mitarbeiter*innen sind viele, die Konzerterfahrungen haben, die aus der freien Szene irgendwann im DNT gelandet sind usw. und die haben dann Blut geleckt und sich der Sache angenommen. Im Grunde wurde die ganze Bühne, auch die Beleuchtung, die ein junger Beleuchtungsmeister designt hat, danach ausgerichtet. Das haben die Gewerke alles allein gemacht. Dadurch hatten wir eine sehr gute Stimmung, ein Backup im Haus. Wir haben das Stück nicht neu geschrieben, sondern die Texte aus dem Film benutzt, auch die szenische Folge behalten, das Drehbuch allerdings gekürzt. Wir wählten 13 Rammstein-Titel aus, nach Affinität zum Stück, allerdings ohne Reihenfolge und ohne konkrete Besetzung des Gesangs. Danach haben wir geschaut, wie sich die Songs in der szenischen Folge zuordnen lassen. Mit welchem Song erreichen wir eine inhaltliche Verknüpfung oder gar eine Verstärkung des szenischen Inhalts. Und dann war klar, jeder, der auf der Bühne steht, hat einen Titel, jeder singt. Die Szenen haben wir im Grunde dazwischen gebaut, was mehr Organisation als Regie war.
In welches Genre würden Sie die Inszenierung einordnen?
W.: Man könnte es beinah als Musical-Format interpretieren, allerdings würde ich es ganz einfach als Musiktheater bezeichnen. Musiktheater ist ja eigentlich gemeinhin als Oper bekannt, aber dieses Theatralische ist ja in dem Stück sehr stark und lebt zugleich von der Musik. Die 13 Rammstein-Songs, das Konzertsetting, der frontale Energiefluss. Das wurde zum Ausdruck.
Wie ordnen Sie den Erfolg des Stückes ein?
W Das Stück ist eine Kollektivleistung, so war es die ganze Zeit in den Proben. Daraus leitet sich auch die Kraft während der Aufführung ab, glaube ich. Trotzdem steht Nahuel Häfliger mit der Figur des Alex in der Mitte. Die Rolle füllt er souverän und großartig. Die Meisten, die in das Stück gehen, haben von „A Clockwork Orange“ noch nie was gehört. Der Abend funktioniert über die Musik, über Rammstein. Das spricht sich natürlich rum, Leute kommen zu uns, die bisher nie ins Theater gegangen sind, alle Altersgruppen, alle sozialen Hintergründe, Querbeet. Das ist ein Freudenfest. Das, was wir ja eigentlich immer wollen: An der Stelle hat es funktioniert.
Ist Clockwork Orange immer noch so gut besucht wie am Anfang?
W.: Am 28.10.2022 war die Wiederaufnahme des Stückes, das war eher vorsichtig, sagen wir mal ca. 300 Besucher. Wir hatten aber auch letztes Jahr, als das Stück wiederaufgenommen wurde, die ersten beiden Vorstellungen nicht voll, dann war es plötzlich wieder sehr gut besucht. Da müssen wir jetzt erst einmal abwarten. Das ist ja eh eine besondere Situation. Jetzt haben wir „A Clockwork Orange“ ja schon das vierte Jahr im Spielplan. Wir haben noch sechs weitere Vorstellungen geplant, bis in das Frühjahr 2023, das wird dann die letzte Vorstellung sein. Aber es ist schon ganz besonders. Es ist nicht selbstverständlich, dass man ein Stück so lange im Repertoire hat.
Auf der Webseite des DNT ist nachzulesen, dass Sie sich mit der Inszenierung „A Clockwork Orange“ einen Herzenswunsch erfüllt hätten. Inwiefern?
W.: Es ist so, dass die Inszenierung ein Wagnis war. Und das ist für mich persönlich das Interessante daran. Wir haben etwas gemacht, bei dem keiner vorher wusste, ob das geht und ob wir es überhaupt können. Riesenansporn. Sowas kann ja auch schiefgehen. Man könnte durchaus stecken bleiben und feststellen, da haben wir uns vertan. Es entsteht eine Energie, weil man es schaffen will. Wir haben quasi einen Tanzschauspielabend kreiert. Keiner wusste, wie man das zusammenbringt. Wir haben viel voneinander gelernt und eine Wahnsinnsenergie entfaltet. Die zweite Arbeit, neben „Clockwork“ ist „Zwischen Liebe und Zorn“, das wir in dieser Saison auch wieder im mon ami weimar spielen. Das Stück greift das Thema Ost-West auf. Es begann zunächst mit der Erinnerung an bestimmte Titel der Klaus-Renft-Combo. Daraufhin wurde uns bewusst, wir müssen uns diese Band näher angucken. Herausgekommen ist ein reines Konzert mit ein paar Zeitkommentaren. Und damit erreichen wir ein Publikum über 60, das seine Jugend wiedererkennt. Das ist höchst emotional. Bei der letzten Aufführung gab es auch wieder spontan Standing Ovations mit Tränen. Rammstein hat ja irgendwie einen Grund-Groove: das Schlagzeug, der Bass und die zwei Gitarren. Das ist auch sehr raffiniert und das wird oft unterschätzt, aber Renft war da nochmal eine andere Nummer. Insofern ein Herzenswunsch, diese Dinge anzufassen, bei denen man vorher nicht weiß, wo man herauskommt.
Nun folgte nach „A Clockwork Orange“ eine weitere musikalische Inszenierung: „Renft“. Sind zukünftig weitere solcher Stücke geplant?
W.: Wir wollen uns mit der Ermordung von John Lennon beschäftigen. Hierzu bin ich im Gespräch mit Tom Götze. Allerdings handelt es sich dabei um ein völlig ungelegtes Ei. Wir wollen untersuchen, was dieses Attentat mit Todesfolge damals in der Musik- und Kunstwelt international ausgelöst hat. Es ist wie ein Meteoriten-Einschlag gewesen. Mal gucken, was dabei herauskommt. Es wäre natürlich auch politisch nicht ganz uninteressant.
Ist etwas an den Gerüchten dran, dass einige Bandmitglieder von Rammstein sich das Stück „A Clockwork Orange“ in der Vorpremiere angeschaut haben?
W.: Nein, an den Gerüchten ist nichts dran. Wir hatten Besuch von der Band, ich glaube sogar zweimal, in dem Stück „Sommernachtstraum“ und haben uns dann natürlich auch an Rammstein gewandt. Durch Tom Götze, im Zusammenhang mit der Dresdner Musikszene, und Sven Helbig, mit dem ich eng zusammenarbeite, dem Komponisten und Elektroniker, welcher oft oder fast immer die Chorsätze von Rammstein vornimmt, haben wir einen Draht zur Band gehabt. Tom Götze macht bestimmte Einspielungen und verschiedene Instrumente für Aufnahmen. Das war überhaupt die Chance, die Rechte für das Stück zu kriegen. Rammstein ist nicht in der GEMA, das heißt man muss mit dem Management verhandeln, ob man es spielen darf. Wir waren als ganze Truppe beim Rammstein-Konzert 2019 in Dresden und haben uns danach dann auch Backstage getroffen. Aber bis jetzt haben die Rammsteiner keine Vorstellung besucht.
Wie fand die Auswahl der Musiker für die verschiedenen Instrumente statt?
W.: Wir wissen ja, was wir für ein musikalisches Potential im Ensemble haben, haben dann aber tatsächlich anhand der Titel ausprobiert, wie geht das mit dem Schlagzeug, wie mit den Gitarren und wir sind ja hier auch bei zwei Gitarren innerhalb des Stücks geblieben. Es ist ja auch ein Akkordeon dabei, gespielt von Isabell Tetzner. Das haben wir alles zusammengetragen.
Wieso haben Sie sich in der Inszenierung für das amerikanische Ende (ohne 21. Kapitel, also ohne Happy End) entschieden und nicht für das britische Ende nach dem Roman von Anthony Burgess?
W.: Wir sind für die Inszenierung am Drehbuch entlanggegangen, wir haben also gar keine Romanbearbeitung versucht. Diesen Schritt hat der Film vollzogen und dem haben wir uns dann angeschlossen, weil auch die Dialoge in dem Film so reduziert, klar, knapp und sprachlich so besonders sind, dass wir gesagt haben, das ist schon irgendwie toll und nicht zu toppen. Dass der Film das letzte Kapitel ausspart, ist kein Zufall. Der Roman endet mit einem Befriedungsversuch. Ich denke aber, der entsteht auch durch den Abbruch der Handlung, der Tatsache, dass Alex wieder startklar ist.
Wie viele Besucher hatte das Stück bisher insgesamt?
In den 26 Vorstellungen seit der Premiere hatten wir 12.245 Besucher*innen.
Sind Weitere Spielzeiten geplant?
W.: Bis zum Frühjahr wollen wir „A Clockwork Orange“ im Spielplan halten, um es dann tatsächlich abzuspielen. Die erste Spielzeit ist im Jahr 2023 auch schon fünf Jahre her und ich denke, es ist an der Zeit, wieder etwas Neues zu machen.
Würden andere Titel von Stanley Kubrick für Sie als Inszenierung in Frage kommen?
W.: Nein.
Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Zeit und das interessante Interview.
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Fotos: Candy Welz.