Es war 1774 nicht ihr erster Auftritt zur Rekonvaleszenz im damaligen Modebad Pyrmont, und es sollte auch nicht ihr letzter sein. Im Jahr zuvor hatte sie hier schon Heilung gesucht, weil sie gesundheitlich erschöpft war und an einer Depression litt. und 1776 kam sie abermals zurück. Lag es daran, dass sie 1774, vor 250 Jahren, hier den Leibarzt des Kurfürsten von Hannover, Johann Georg Zimmermann, kennengelernt hatte? Mit ihm kam sie über Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ und „Clavio“ ins Gespräch. Zimmermann traf in Straßburg den jungen Goethe. Im Gepäck des Arztes befand sich ein Schattenriss von Charlotte von Stein.
Goethe und Charlotte von Stein fanden 1775 in Weimar erstmals zusammen. Sie war die älteste Tochter des Weimarer Hofmarschalls Johann Christian Wilhelm von Schardt und kam 1758 als Hofdame der Herzogin Anna Amalia an den Weimarer Hof. 1764 verehelichte sie sich mit dem herzoglichen Stallmeister Josias von Stein- Kochberg. Im Laufe der Jahre wurden dem Ehepaar sieben Kinder geboren, von denen jedoch nur drei Jungen das Erwachsenenalter erreichten. Kein Wunder, dass die gesundheitlich strapazierte Charlotte von Stein im Heilbad Pyrmont die Gesundheit wiederzuerlangen hoffte.
Die Hofdame war sieben Jahre älter als der junge Goethe, der Charlotte bald heiß verehrte und ihr im Laufe der Jahre fast 1700 Briefe schrieb. Die aus dem Gedankenaustausch entstandene Freundschaft und Liebe hatte lange Bestand, war jedoch nicht frei von Spannungen, zumal Goethe, der im Dienst des Herzogs Carl August stand, 1786 fluchtartig zu einer zweijährigen Reise nach Italien aufbrach. Zwar besuchte er Charlotte noch während ihrer Kur in Karlsbad, doch dann ließ er über lange Zeit nichts von sich hören und meldete sich erst wieder aus Rom. Das vertraute Verhältnis gewann anschließend nicht mehr die alte Tiefe, zumal Goethe sich mit Christiane Vulpius verband. Doch beider Sohn August und später der Dichter selbst waren im Hause Stein wieder gern gesehene Gäste, hatte Goethe den elfjährigen Sohn Fritz Charlottes doch zur Zufriedenheit der Mutter unterrichtet und erzogen. Nach dem Tod ihres Mannes 1793 wandte sich Frau von Stein ebenfalls der Schriftstellerei zu und verfasste einige Stücke, zu deren Veröffentlichung Friedrich von Schiller sie ermutigte.
Im Sommer 1801 kam Goethe mit seinem Sohn August zur Kur nach Bad Pyrmont, um sich von einer Gesichtsrose zu erholen. Mit wem er zusammentraf, was er dort erlebte, hat Hermann Multhaupt in seinem Buch „Mit Goethe zur Kur“ (Bertuch Verlag, Weimar) überliefert. Das Hotel, in dem er logierte, besteht noch heute.
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Vorschaubild: Charlotte von Stein, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei; neu bearbeitet von Carolin Eberhardt.
Foto: Hermann Multhaupt.