Sie kannten sich, waren Freunde. Verehrten einander. Genies: Goethe, Lenz, Herder.
Doch der unbeugsame Feuerkopf Lenz bedroht mit seinem Verhalten und mit seinen Worten das gerade begonnene feudalbürgerliche Dasein Goethes in Weimar. Bereits ein Jahr bevor Lenz auf Besuch nach Weimar geht, ist ihm klar: „Modifizieren kann sich der nur, der nicht von Jugend auf wie ich, mit dem Kopf gegen die Wand gerennt ist." Lenz' Ansätze, sich zu etablieren, schlagen fehl. Die ehemaligen Freunde ignorieren ihn oder - wie Goethe - stoßen ihn von sich. Als Lenz in Weimar weilt, bei Charlotte von Stein zum Beispiel, was Goethe sicherlich besonders stört, veranlasst dieser einen herzoglichen Befehl, der Lenz aus Weimar ausweist. Selbst Charlotte von Stein, die ihn ein paar Wochen auf Schloss Kochberg wohnen lässt, und einige wenige andere vermögen nicht, den Herzog umzustimmen. Goethes Dienstbarkeit ist ihm wichtiger. Goethe siegt und schweigt Zeit seines Lebens über die Bekanntschaft, ja Freundschaft mit Lenz. Er, Goethe, vernichtet alle Erinnerungsstücke, z. B. Briefe, an Jakob Michael Reinhold Lenz, den wilden Träumer, scharfen Sozialkritiker und ungewöhnlich begabten Dichter. Selbst Goethes Mutter versucht Lenz zu helfen. Der aber verlässt Deutschland. Elend und verlassen wird er in der Nacht vom 23. zum 24. Mai 1792 in einer Moskauer Gasse tot aufgefunden.
Goethes Ego will sich abschotten gegen seelische Belastungen, die ihn durch das selbstquälerische Denken solcher künstlerischer Genies wie Lenz, Kleist, Hölderlin drohen könnten. Denn Selbstzweifel kennt Goethe selbst und vertreibt seine Angst davor durch Ablehnung und Flucht. Für Lenz bleibt: „Ich aber werde dunkel sein / Und gehe meinen Weg allein."
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Literatur:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Briefe in drei Bänden. Herausgegeben von Sigrid Damm. Insel Verlag Anton Kippenberg Leipzig, 1987
Sigrid Damm: Vögel, die verkünden Land. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1985