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Hans Lucke

Das Täubchen, dass den Igel küssen wollte

Geschichten für große und kleine Menschenkinder

Ein Marienkäfer auf der Suche nach seinem siebten Punkt, eine Ameise, die lieber ein Hund sein will, eine fernsehsüchtige Amsel und eine Hexe in der Straßenbahn. Erzählt werden die fantasievollen Geschichten von dem einstigen DNT-Schauspieler, Regisseur und Autor Hans Lucke. 

Alltäglichkeiten II

Alltäglichkeiten II

Christiane Gieck

Mittwoch, 17.05.06

Mein Partner hat schwer mit dem immer noch stark umherfliegenden Blütenstaub verschiedener Gräser und Bäume zu kämpfen. Und was ist das für ein Kampf dieses Jahr! Seine Nase ist tatsächlich in einem dauerroten Zustand und (der eh schon große Zinken) hat übernatürliche Formen angenommen. Besonders hartnäckige Pollenpartikel sind bis in die Tiefen seiner Bronchien vorgedrungen und quälen ihn mit einem bösen Husten. Er ist kaputt, matt und niedergeschlagen, bezwungen von Blütenstaub. Statt auf seinen Körper zu hören, sich entkräftet hinzulegen und den Arzt um ein paar Tage Erholung zu bitten, quält er sich im Flur herum und verfugt die schönen neuen Fliesen (What a man!). Um mich anschließend total geschwächt zu bitten, ihn für den heutigen Arbeits-(Nachtschicht)Tag zu entschuldigen, er sei einfach zu kaputt und nicht in der Lage sich heute bis auf Arbeit zu schleppen, um dort acht Stunden lang viele tausend Bögen leeres Papier zu bedrucken. Was ich natürlich ablehne; das Gespräch mit der Chefetage muss er, der geschwächte Partner, selber versuchen zu bewältigen. Ist auch in keinster Weise ernsthaft beunruhigend, seine Bitte - dieses Telefonat wiederholt sich mit zuverlässiger Regelmäßigkeit in allen Nachtschichtwochen (auch ohne allergische Symptome).

Überhaupt nicht akzeptieren möchte ich, dass, kaum dass ich nach getaner Arbeit meinen wohlverdienten Feierabend genießen will, er mir ernsthaft und ständig vorwirft, ihn schwerkrank in die böse Nachtschicht zu schicken. Ich sei verantwortlich, dass er in dermaßen geschwächtem Zustand voraussichtlich gegen einen Baum fahren oder seinen Kopf in der stark rotierenden Druckmaschine verlieren wird. Und überhaupt dürfe er mit diesen starken Medikamenten gar nicht Auto fahren. Was für ein fieser Charakter sich hier doch entwickelt, mir Schuldgefühle einreden und mir die Verantwortung zuschieben zu wollen, sollte ihm etwas passieren. (Auch jetzt noch wäre Gelegenheit gewesen, den Chef über den angeschlagenen Gesundheitszustand zu informieren.) Märtyrer kommen nicht in den Himmel und die Jungfrauen - wissen wir seit den dänischen Karikaturen - sind auch aus.

Es nützt auch nichts, seinen Chef gedanklich immer wieder brutal zusammenzuschlagen, einfach still und leise der Arbeit fernzubleiben oder gar eine Kündigung auszusprechen (Was ihm nicht alles in den Sinn kommt!). Er sollte in Ruhe nachdenken und hoffentlich zu dem Schluss kommen, dass es beim Arzt gelbe Freizeit-Scheinchen gibt, die vom Chef akzeptiert werden (wurde oben schon gesagt). Aber wahrscheinlich wird er diese Möglichkeit zur Entspannung nicht nutzen und es werden auch morgen Abend wieder Schuldzuweisungen und Vorwürfe an mich gerichtet werden, wie auch bei künftigen Nachtschicht-Einheiten. (Dann wieder symptomlos und in abgeschwächter Form.)

 

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Foto: Evchen Meyer

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