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Wunderschöne Ansichten der Klassikerstadt - gezeichnet von Gerhard Klein (3. Aufl. 2010, erschienen im Bertuch Verlag).

Die Capella „Vox coelestis“

Die Capella „Vox coelestis“

Adolf Wagner

Klangvolle Zukunft für ein bauliches Kleinod

Sie liegt fern von den großen Kulturstätten und Namen der Stadt Weimar. Fern von den Wegen, auf denen Touristen aus aller Welt sich an Sehenswürdigkeiten abarbeiten. Für die Errichtung der ehemaligen Friedhofskapelle in Ehringsdorf ist als Zeitraum der Monat September 1899 nachgewiesen. In der 1995 restaurierten Turmkugel der Turmhaube fanden die Handwerker dafür den Beweis, die traditionelle Praxis in dieser Zeit, u. a. das hinterlegte Exemplares einer Tageszeitung. Die „Tribüne" als Organ der Sozialdemokraten in Thüringen von Dienstag, dem 19. September 1899, die dem Verein im Original vorliegt.
Für den 21. Oktober 1900 vermeldet die Chronik des Pfarramtes Oberweimar/Ehringsdorf die Feierlichkeit zur Einweihung der Friedhofskapelle nebst Leichenhaus, die von Herrn Landkammerrat Heydenreich der Gemeinde Ehringsdorf gestiftet wurde.
„Das Bauwerk ist aus Tuff und Sandstein ausgeführt, aber nicht etwa ein plumber Steinkasten, sondern ein durch reiche Gliederung leicht und gefällig wirkendes Ganzes. Der Stil ist romanisch und von mächtigen, mit sorgfältig gearbeiteten Capitälen geschmückten Pfeilern der Vorhalle vor dem Ostportal, sowie den Säulen geschmückten Fensternischen des Chorraumes an bis zum Crucifix und den Leuchtern des Altars streng durchgeführt. - Insbesondere ist auch die innere Ausmalung in Farben, den abwechselnden Ornamenten und ihren Linien gediegen und stilvoll. Schon äußerlich läßt sich ein hochragendes Steinkreuz über der Altarnische, sowie ein Glockenthürmchen den Charakter des ganzen Bauwerkes erkennen. Die Kapelle ist nicht bloß eine erlesene Zierde der Gemeinde Ehringsdorf, sondern des ganzen landschaftlichen Bildes, was von dem belebten Straßenzug Weimar Belvedere durchschnitten wird. Herr Landkammerrath Richard Heydenreich hat den ganzen Bau auf seine persönlichen Kosten in hochherziger Weise allein ausgeführt und ihn nach endgültiger Fertigstellung am Sonntag, d. 21. Oct. 1900 den kirchlichen u. politischen Gemeindebehörden übergeben; eine edle That, wie die ....... (unleserliche Stelle) 7,5 gemeldete. Die Bauleitung war den bewährten Händen des Herrn Baurathes Reichenbecher (war derzeit im Departement des Großherzoglichen Hauses und der Finanzen tätig und gleichzeitig für das Hofbauwesen zuständig) anvertraut".
Innenansicht der Friedhofskapelle
Innenansicht der Friedhofskapelle
Die Bauausführung war von der Firma Fritz Rühling aus Gera (Großh. Sächs. Hofsteinmetzmeister) und die Ausmalung von der Firma Schäffer & Müller aus Weimar übernommen worden.
Über die feierliche Einweihung selbst läßt sich in der Kirchenchronik weiter nachlesen: 
„Ehringsdorf, d. 17. Oct. 1900 - Gegenwärtig: die Mitglieder des Kirchengemeindevorstandes u. des Gemeinderathes. 
 
Auf der Tagesordnung steht die für den nächsten Sonntag, den 21. d. Mts. in Aussicht genommene Einweihung der Friedhofskapelle nebst Leichenhaus u. des neuen Friedhofs: der Ortspfarrer hat im Großen u. Ganzen mit Herrn Landkammerrath Heydenreich den Gang der Handlung besprochen u. soll derselbe folgender werden:
 
1/2 10 Uhr will sich Herr Landkammerrath Heydenreich mit den kirchlichen u. politischen Gemeindevertretungen nach der Friedhofskapelle begeben u. dieselbe nebst Leichenhaus diesem engeren Kreis übergeben. 
 
Um 10 Uhr soll es zum dritten Mal läuten u. dies als Zeichen dienen, daß sich die Gemeinde in der Kircher versammelt u. von dort aus zum Festzug antritt; der Festzug soll sich von der Kirche unter Glockengeläut u. unter Vorantritt der Schulen mit einem das Crucifix tragenden Knaben nach der Friedhofskapelle begeben. Dort findet Übergabe des Schlüssels durch den Bauleiter Baurath Reichenbecher aus Weimar statt.
Der Gottesdienst in der Kapelle beginnt mit Gesang des Liedes -Komm heiliger Geist-.
 
Darauf spricht der Ortsgeistliche die Intonitation u. das Altargebet. Hieran reiht sich Chorgesang der Kinder.
 
Sodann eine alttestamentarische Schriftverlesung seitens des Ortspfarrers. Darnach: Gesang des Gesangvereins (Forschen nach Gott nach einem Gedicht von ...? , comp.von Valentin Kreuzer (Hofmusiker in großherzoglichem Dienst). Weiterhin: Weihrede des Superintendenten der Diözese Herrn Geheimen Kirchenrathes Dr. Förtsch aus Mellingen. Nach der Weihrede Gesang des Verses -Wenn ich einmal soll scheiden- seitens der Gemeinde.
 
Schlußliturgie seitens des Ortspfarrers u. als Schlußvers ... (noch konkret zu Ergänzendes).
 
Anwesende: Bürgermeister Wilhelm Heinemann, Geistlicher Filial von Oberweimar sowie Ortsschulaufseher Pfarrer Ernst Phieler. 
Zur Vervollständigung und zum besseren Verständnis des für die Gemeinde Ehringsdorf so bedeutsamen Ereignisses, noch eine ergänzende Anmerkung zur Familie Heydenreich. 
 
Karl Heydenreich aus Oberweimar kaufte 1836 das kleine Ehringsdorfer Rittergut, das dann 1856 von Richard Heydenreich erworben wurde. Die zum Rittergut gehörende „Einfach-Bierbrauerei" wurde besonders seit den 1870er Jahren erheblich zur Rittergutsbrauerei Heydenreich ausgebaut. Die Familie Heydenreich besaß in Weimar fünf eigene Gaststätten und drei Hotels. 1900 stiftete Richard Heydenreich den Einwohnern die repräsentative Friedhofskapelle.
Als Landkammerrat war er Mitglied der Großherzoglichen Kammer mit der Zuständigkeit für Finanzen und Liegenschaften in einem bestimmten Landkreis im Großherzogtum. Nach heutigem Verständnis wäre seine Funktion mit der eines Landrates zu vergleichen. Nach dem Tod von Richard Heydenreich 1913 übernahm der aus dem Krieg zurückgekehrte Wilhelm Heydenreich das Gut und die Brauerei.
 
Ein weiterer Auszug aus der Chronik des Pfarramtes Oberweimar/Ehringsdorf berichtet über die nachfolgenden Jahre.
Ohne besondere Nachrichten zur Kapelle geht die Zeit über sie hinweg. Bis in die 50ziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde den Verstorbenen in einem stilvollen Gebäude mit schöner Jugendstil-Schablonenmalerei die letzte Ehre erwiesen. Ab 1960 war die Kapelle sich selbst überlassen und dem Verfall preisgegeben. In einem Bericht eines Versicherungsvertreters ist darüber folgendes zu lesen: „Die Friedhofskapelle befindet sich in einem ausgesprochenen schlechten Zustand. Fast alle Fenster sind zerstört. Das Dach bricht fast zusammen; nach Feststellung des Unterzeichnenden ist das Gebäude bautechnisch für jedermann zu sperren. Es besteht Einsturzgefahr des Daches. Man kann vom Innenraum direkt „in den Himmel" sehen. Die Jugendstilausmalung ist ebenso in einem katastrophalen Zustand. 
 
Überall bröckelt die Farbe. Das Gebäude steht zwar unter Denkmalschutz, ist eigentlich nicht (!) mehr versicherbar".
Diesem Verfall wurde erst nach der Wende durch das Amt für Denkmalpflege mit einer umfassenden Dachsanierung Einhalt geboten. Doch die Gebäudeanlage schlief bis zum Oktober 2004 weiter den Dornröschenschlaf bis der Verein „Vox coelestis" unter dem Vorsitz von Prof. Wolf-Günter Leidel ihr Eigentümer wurde, mit dem Ziel, daraus ein sozial-kulturelles Zentrum mit besonderem Inhalt werden zu lassen.
Ein langer steiniger Weg lag vor den Mitgliedern des Vereins, deren erstes und einziges Kapital ihr Enthusiasmus und ein unglaublicher Optimismus war, folgende Vorhaben zu verwirklichen:

  • Sanierung, Erhaltung und Pflege der denkmalgeschützten Kapelle;
  • Durchführung von Konzerten, musikalischen Wettbewerben, Ausstellungen, 
  • Vorträgen und Lesungen;
  • Sicherung, Archivierung sowie Publizierung von Dokumenten spätromantischer 
  • Orgeln und Orgelmusik.

 

Der Name des Vereins und seine Vorhaben stehen im engen Einklang mit der Kapelle, die den Geist von Jugendstil und Spätromantik atmet. Die Musik der Spätromantik spiegelt sich auch in der Orgelmusik und im damit verbundenen Bau spätromantischer Orgeln wider. Diese Orgeln zeichnen sich durch typische Orgelregister mit einzigartigem mystisch-schwebendem Klang aus. Davon ist ein Register die „Vox coelestis" (himmlische Stimme). Die Kapelle wurde deshalb auf Beschluss des Vereins Capella „Vox coelestis" benannt.
 
Unter der Leitung von Prof. Wolf-Günter Leidel werden von den noch bespielbaren spätromantischen Orgeln in Thüringen Tonaufnahmen mit Musik aus dieser Zeit dokumentiert, damit die „Königin der Instrumente" dieser Epoche und ihre Musik nicht in Vergessenheit geraten, zumal diese Orgeln oft aufgrund fehlender finanzieller Mittel für ihre Erhaltung bald unbespielbar sein werden. In der Mediathek des Vereins wurden diese Klangdokumente gesammelt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Somit erschließt sich eine vielfältige Möglichkeit, dem interessierten Publikum diesen zauberhaften Klang in historischer Atmosphäre darzubieten. Dafür bilden Gebäude und Musik eine gelungene harmonische Einheit.
Übersicht der einzelnen Motive
Übersicht der einzelnen Motive
Das Gebäudeensemble gliedert sich in zwei große separat erschlossene Bereiche - in die Konzert- und Ausstellungshalle sowie den Seitenflügel. Die an der Kapelle befindliche Gruft ist Besitz der Nachfahren von Richard Heydenreich.
 
Bei den Dachinstandsetzungsarbeiten in den 1990er Jahren wurden die Dachkonstruktion komplett überarbeitet und lose Teile der Decke entfernt. Durch die einstige Nässeeinwirkung während der Zeit des ruinösen Daches war die Holztonnendecke mit Jugenstilschablonenmalereien in einem nicht sanierbaren Zustand, so dass sie vollständig erneuert werden musste. Der Innenputz und damit auch die Farbfassung der Ausmalung der Umfassungswände, der Apsis und des Tympanon (Supraporte) waren stark geschädigt. 
 
Der Seitenflügel umfasst den Innenhof und vier kleinere Räumlichkeiten. Während der noch zu gestaltende idyllische Innenhof zukünftig zu beschaulichen Gesprächen einladen wird, bieten die Räume Platz für einen Beratungsraum/Tonstudio , eine Kleinküche und ein WC.
 
Nach der baulichen Umgestaltung des Seitenflügels ab 2007 , der Erneuerung des Deckengewölbes der Kapelle sowie seine originäre Ausmalung und der Sanierung der Kapelleninnenwände mit Fragmenten der Jugenstilausmalung kann die Kapelle wie vorgesehen als Konzert-, Ausstellungs- und Begegnungsstätte genutzt werden. 2010 und 2011 wurde die Aufarbeitung von allen 4 bleiverglasten Fenstern und die Sanierung der Eingangstür Westseite abgeschlossen.
 
Nach den Vorgaben der Denkmalschutzbehörde als weitere Aufgaben konnten ab 2011 große Teile der Innenausmalung und ab 2012 die Konservierung und Rekonstruktion der Apsis vorgenommen werden. Dabei haben sich neben Zimmerleuten, Stuckateuren, Kunstschlossern, Kunstglasern und Tischlern besonders die Restauratoren Tobias Just und Thomas Werner aus Weimar verdient gemacht. Ab 2013 bis 2015 sind die restliche Restaurierung der bauzeitlichen Schablonenmalerei des Tympanons und die detaillierte originäre Ausmalung des Kapelleninnenraumes vorgesehen.
 
Weiterhin soll die Sanierung des Fachwerkvorbaus Westseite sowie der Säulenportal Ostseite einbezogen werden. Nach Abschluss aller Arbeiten wäre das historische Gesamtbild der Kapelle wieder hergestellt und damit nicht nur seine Funktion als sozial-kulturelles Zentrum in Weimar-Ehringsdorf erfült, sondern auch als weitere kulturhistorische Begegnungsstätte der Stadt Weimar mit überregionaler Bedeutung.

 

Adresse: Hinter dem Friedhof, 99425 Weimar - Ehringsdorf

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Vorschaubild: gemeinfrei
Innenansicht: Adolf Wagner

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