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Florian Russi

Berühmte Liebespaare

Die Liebe kann ebenso verschieden sein wie die Menschen, die sie erleben. Autor Florian Russi durchforstete die Menschheitsgeschichte auf der Suche nach berühmten Liebespaaren und bringt dabei die verschiedenen Facetten der Liebe ans Licht.

Tiefurter Park

Tiefurter Park

Konstantin Leicht

Ort ohne Gegenwart 

Hier existieren etliche Orte, denen der Zugang zur Gegenwart in bester Absicht verwehrt wird. Einer der schönsten ist der Tiefurter Schlosspark. Um dorthin zu gelangen, wirft man von der Sternbrücke einen abgebrochenen Ginkgoast in die Ilm und lässt sich dann gemächlich wie das Holz im Wasser aus der Stadt hinaus nach Tiefurt treiben. Unterwegs überholen einen Jogger und Nordic Walker. Freundlich miteinander schwatzend kämpfen sie um jeden Zentimeter Weg. Die zahlreichen Kinder auf den Fahrrädern tragen Helme, die meisten Hunde sind unangeleint.

Babys werden in dreirädrigen Wagen geschoben. Dunkle Sonnenbrillen verdecken die Gesichter der Frauen und Männer tragen lange Mäntel und Hüte. Trotzdem scheint es, gerade an den Wochenendtagen, als könnten auf dem Weg nach Tiefurt Gruppen unterschiedlichster sozialer Herkunft friedlich nebeneinander existieren.

Der Lauf der Ilm verengt sich, an manchen Tagen schwappt das erdige Wasser auf das Ufer. In den Bäumen am Wegesrand zwitschern Vögel, in der Ferne rattert ein Regionalexpress. Vorbei am idyllisch gelegenen Klärwerk, an Kleingartenanlagen und einem Steinplattenweg, auf dem Sportwagen neben Familienkombis parken. Der Ginkgoast gerät ins Trudeln, die Ilm drängt energisch vorwärts. Die Zahl der Sportler nimmt ab, je näher man dem Park kommt. Radfahrer werden nun von älteren Herren mit freundlicher Ermunterung und Jan-Ullrich-Scherzen bedacht.

Immer gibt es hier jemand, der etwas weiß, zumeist über das historische Weimar. Manchmal auch über den letzten Sturm, der sechsunddreißig Bäume gefällt hat, die jetzt romantisch am Wegesrand verwittern. Ein wunderbares Bild. Aus Felsen rinnt Wasser und sammelt sich in Steinbecken, Spatzen sitzen auf Papierkörben, Hunde laufen schwanzwedelnd in die Ilm, Kinder folgen ihnen und werden von ihren Eltern in letzter Sekunde zurückgehalten. An manchen Tagen im Sommer, wenn der Fluss kaum noch Wasser führt, streifen diese Eltern die Schuhe von ihren Füßen und stolpern vorsichtig in das Flussbett. Kiesel stechen dann in ihre Sohlen.

Es gibt diese eine Stelle an einer sanften Biegung der Ilm, wo manchmal Bühnen für exklusive Wiederaufführungen errichtet und gleich darauf abgerissen werden. Dort halten Einheimische mit ihren auswärtigen Verwandten inne und zücken die Digitalkameras. Später sitzen sie auf Bänken, auf deren Lehnen Messingschilder mit den Namen der Bankstifterinnen golden glänzen und sie lesen im Reiseführer, wer vor ihnen an dieser Stelle wie gewirkt hat.

Über den Liegewiesen vor dem Schloss summt Gemurmel und Gelächter. Weniger Studenten als im Ilmpark sind hier, doch immer noch genug, um Fußball oder Federball zu spielen. Pärchen liegen engumschlungen auf Decken, blättern in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung, überfliegen die Überschriften der Artikel, die sie lesen könnten, wenn die Sonne sie nicht ermattet auf die Wiese sinken ließe. Kinder jagen sich, manchmal auch Hunde. Vielmehr als der Ilmpark, durch den man an den Wochenendtagen spaziert, weil es so wenig Aufwand erfordert, ist der Tiefurter Schlosspark eine bewusste Entscheidung. So verhalten sich die Besucher auch. Kein historischer Bildungsvergnügungspark, was hier ist, ist phantasievoll verschlissen. Da stört auch nicht der restaurierte Musentempel mit den Stiefmütterchen und den zu Kugeln geschnittenen Büschen. Hier ist mehr Park als Geschichte, hier blühen wilde Blumen in den geheimnisvollen Ausläufern eines Waldes. Das wissen auch die fliegenden Postkartenverkäufer, die sich fern von Tiefurt halten, das wissen die Geschäftsleute, die hier keine rotlackierten Radkutschen vermieten. Wenn im Park eine Holzbrücke wegen Baufälligkeit gesperrt ist, benutzen Familien sie dennoch. Wenn in den ersten Wochentagen Landschaftsgärtner den Park vom gröbsten Unkraut befreien, lassen sie genug stehen, damit sich die Wiese nicht zu einer Parodie auf einen Golfplatzrasen verwandelt. Und wer glaubt, dass es auf dem Sommersitz der Herzogin vor fünfzig Jahren anders zugegangen ist, der wird erfreut feststellen: In diesem Park steht die Zeit still.

Schließlich verfängt sich der Ginkgoast in den Wurzeln eines im Wasser gewachsenen Baums. Da hilft nichts, hier endet der Park und beginnt die Gegenwart.

 

Öffnungszeiten:

Der Park ist ganzjährig frei zugänglich.

 

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Fotos: Konstantin Leicht

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Hauptstraße 14
99425 Weimar-Tiefurt

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